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Dem Manne gleich.

Novellette

von

E,it Maniok.

^Nachdruck verboten.^ ar sie besser oder schlechter als die übrigen Mädchen der kleinen Stadt? Eins nur stand fest, nämlich daß sie anders war als die anderen. Zwar konnte man ihr nichts vorwerfen als höchstens, daß sie ein hochmüthiges Ding wäre. Vielleicht war sie das auch in ihrer Art, obwol sie niemand damit beschwerlich fiel, weil sie mit keinem Menschen verkehrte. Jedoch gerade dieses Selbstgenügen däuchte der Gesellschaft ein schweres Verbrechen, und sie konnte der armen Betty nicht vergeben, daß diese sich nichts aus ihr machte. Uebrigens war Betty's Leben ein recht trauriges. Eine Näharbeit im Schose, saß sie Tag um Tag am Fenster und sann über Leben und Jugend nach, welche so reizlos verliefen, und welch ein anderes Ding es sein würde, wenn sie als Knabe auf die Welt gekommen wäre; dann hätte sie lernen und etwas rechtes werden können, aber so! Sie war ein stolzes und zu­gleich ungemein scheues Geschöpf, das aus Furcht, es könnte zu rauh angefaßt werden, sich ängstlich in sich selbst zurückzog. Jedes an anderen verübte Unrecht empörte sie, als ob es an ihr oder einem ihr theuern Menschen begangen worden wäre, und da man im Leben täglich und stündlich Ungerechtigkeiten begegnet, befand sich das arme Mädchen in einem beständigen Kampf gegen alle Welt; zudem waren die Verhältnisse, in welchen sie sich seit ihrer Kindheit bewegte, nicht danach angethan, ihr eine freundlichere Ansicht von den Menschen beizubringen. Diejenigen, welche in einer Großstadt leben, können schwerlich einen Begriff davon haben, was für eine demüthigende Stellung ein junges Mädchen in einer kleinen Provinzstadt einnimmt, wenn es zu den Armen zählt. Nun hätte Betty sich allerdings in die Gesell­schaft eindrängen und als eine der Unbemitteltsten und wenigst Angesehenen ihre kleine Rolle dort spielen können, hätte auf den leidigen Casinobällen in einfacher Kleidung bescheiden in einer Ecke sitzen und warten können, bis es einem der jungen Herren gefällig sein würde, sie zum Tanze aufzufordern; nebenbei hätte sie freilich allen den Vätern, Müttern und Schwestern besagter junger Herren benotest die Courmachen und den Fräulein aus besseren Häusern in allem und jedem den Vortritt lassen müssen; vielleicht hätte sie es dann dahin gebracht, sich ein be­scheidenes und nettes Mädchen nennen zu hören und am Ende so­gar von einer der ehrsamen Damen, nach dem üblichen und ge­wöhnlich fruchtlosen Widerstand, mit sauersüßer Miene als Schwiegertochter ans Herz gedrückt zu werden. Aber nach alledem gelüstete es das junge Mädchen keineswegs; was in ihrem Kopfe spukte, waren Wünsche ganz anderer Art. Nur fort von hier,fort aus diesen kleinbürgerlichen, engbrüstigen Verhältnissen! fort von einemOrte,wo alle so fromm und ehrbar thun,weil einer sich vom anderen gekannt weiß und keiner den Muth hat, fein wahres Gesicht zu zeigen; fort von einer herzlosen Philistergesellschaft, nach welcher das liebe Geld den Werth eines Menschen bestimmt und der Arme vor dem Reichen Bücklinge zu machen hat, bloß aus Respect vor dem Gelde; wo man sich gegen die Strömungen der Zeit verschließt und den althergebrachten Weg, welchen schon die Großväter gegangen, gemächlich weitertrabt, der darin besteht, daß die Söhne das Gewerbe des Vaters weiter­führen und die Töchter sich bemühen, unter die Haube zu kommen. Das mag gut sein für euch, sprach es in Betty, mir aber taugt es nicht.

Wenn man sie nun gefragt hätte, was sie eigentlich wollte, hätte sie schwerlich eine bestimmte Antwort darauf geben können. Sie hätte ein Mann sein mögen, sie fühlte sich unzufrieden, sehnte sich nach einem Wirkungskreis. In ihr regten sich eben alle jene Krankheitskeime, welche die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnen, und von welchen auch die Frauen ergriffen worden sind. Alles will frei, unabhängig, selbständig sein, jedermann strebt aufwärts, und so auch die arme Betty. Als sie fünfundzwanzig Jahre zählte, starb ihre Mutter, und mit dem Tode der Frau erlosch die kleine Pension, welche den Unter­halt der Witwe und des Kindes bestritten hatte. Betty stand nun gänzlich verarmt und einsam in der Welt. In ihrer Noth erinnerte sie sich einer hochgestellten Dame, in deren Hause die Mutter, da sie noch ein junges Mädchen war, viele Jahre ge­dient hatte. Persönlich kannte Betty diese Dame nicht, wußte jedoch, daß sie reich, verwitwet und kinderlos wäre und auf die liebe Verstorbene große Stücke gehalten hätte. In einem langen Briefe setzte Betty der Dame ihre traurige Lage auseinander und bat sie, sich der Todten zu Liebe ihrer anzunehmen; sie begehre nichts als Arbeit, doch würde sie eine Stellung, welche sie ver- hältnißmäßig unabhängig ließe, einer dienenden in einem Privat­hause bei weitem vorziehen. Die Antwort blieb lang aus, end­lich aber traf sie ein und brachte die erfreuliche Nachricht, daß es der Schreiberin gelungen wäre, eine Stelle in einem Postamte für das junge Mädchen ausfindig zu machen, sie möge also un­gesäumt nach Wien kommen. Der Bries war kurz und sachlich abgefaßt und mit einem Namen unterzeichnet, welcher Betty

fremd war; sie schloß daraus, daß die schon alternde Witwe sich zum zweiten mal vermählt hätte, doch machte sie sich darüber keinerlei Gedanken, sondern schnürte ihr Bündel und reiste nach Wien.

Nach ihrer Ankunft war ihre erste Sorge, jener Dame eine Tankesvisite abzustatten. Sie fand eine überladene, ganz neu eingerichtete Wohnung, welche nichts trauliches an sich hatte, und die Dame empfing sie, ohne sich zu erheben oder eine theil- nahmvolle Frage an sie zu richten. Sie musterte das junge, in Trauer gekleidete Mädchen von oben bis unten, und zwar mit einem Blicke, welcher jedes Schimmers von Wohlwollen ent­behrte, theilte ihr mit, daß sie vor Antritt ihres Postens sich einer leichten Prüfung zu unterziehen habe, und fragte sie, ob sie schon eine Wohnung hätte. Als Betty dies verneinte, ließ die Dame das Gespräch fallen und betrachtete den buntgestickten Teppich, welcher unter ihren Füßen lag. Sie machte dadurch, daß sie trotz ihrer vorgerückten Jahre mittels Heller Kleidung und anderer Toilettenkünste bestrebt war, noch jung zu er­scheinen, einen beinahe widerlichen Eindruck. Ihr Haar schien gefärbt, die Wangen waren stark geschminkt, und ihr Anzug trug den Stempel einer jeune mariös. Ihre Augen waren halb geschlossen, sie wußte vor lauter Vornehmheit nicht, ob sie sich herablassen sollte, noch ein paar Worte zu sprechen, und ließ der armen Betty ganz unverhohlen merken, daß sie sich lang­weile. Einen Augenblick nur belebte sie sich, fuhr in die Höhe und blickte nach der Portiere, durch welche man ins anstoßende Ge­mach gelangte. Dann winkte sie mit der Hand, als ob sie jemand, den Betty nicht sehen konnte, weil sie der Portiere halb den Rücken zukehrte, veranlassen wollte, sich zu entfernen. Wirklich rauschte es hinter der Portiöre, und es schien, als ob jemand sich behutsam zurückzöge. Nun war die Dame vollends verstimmt, gähnte verdrießlich und blickte das junge Mädchen argwöhnisch an. Betty erhob sich, nahm in aller Eile Abschied, und die Dame entließ sie, ohne sie auch nur mit einem Worte aufgefordert zu haben, wiederzukommen.

Diese kleine Scene und besonders die Episode mit der Por­tiere waren an sich ganz unbedeutend, machten jedoch auf Betty einen ungewöhnlich tiefen Eindruck. Es schien dies eine Vor­ahnung dessen zu sein, was kommen sollte; damals aber glaubte das arme Mädchen, daß nur die Empfindung über die ihr zutheil gewordene unfreundliche Aufnahme ihr so weh gethan hätte. Dieser erste Schritt ins selbständige Leben war übrigens nur der erste Ring zu einer langen, langen Kette von Widerwärtig­keiten.

Die Prüfung ging besser von statten, als Betty erwartet hatte; einige Tage später saß sie schon in dem geräumigen Post­amt und hatte das wohlthuende Bewußtsein, ihr Brot selbst zu verdienen. Aber die Bezahlung war, wie es bei Frauenarbeit gewöhnlich der Fall, eine schlechte, und Betty mußte genau wirthschaften, um mit dem Gelde auszukommen. Indeß war sie daran von klein aus gewöhnt und wußte sich nach der Decke zu strecken; einen weit größeren Verdruß bereitete ihr die Wahr­nehmung, daß es für ein alleinstehendes Mädchen ungemein schwer sei, eine passende Wohnung zu finden. In den meisten Häusern hatte man keine Lust, ein Frauenzimmer als Mietherin aufzunehmen; fast überall suchte man nach Ausflüchten, gab vor, daß Damen viel anspruchsvoller wären als Herren, auch weit mehr Arbeit verursachten, und nicht selten ließ man durchblicken, daß man allein wohnenden Frauen gegenüber nicht vorsichtig genug sein könne. Und während alle diese bedenklichen Leute es bei der Aufnahme von männlichen Miethern durchaus nicht genau nehmen und ohne viel zu forschen und zu fragen ihre Zimmer dem ersten Besten willig überlassen, stellte man an Betty tausend Fragen, welche mitunter recht beleidigend waren. Sie mußte Auskunft geben über ihre Vergangenheit, wo sie bis zu dieser Stunde gelebt, weshalb sie nach Wien gekommen, ob sie hier Bekannte oder Verwandte hätte, viele Besuche mache oder empfange, und vor allen waren es die Frauen, welche ihr mit dem größten Mistrauen entgegenkamen. Das also war eine Schattenseite des freien Alleinlebens; eine andere trat im Postbureau zu Tage. Betty staunte oft, wie ruhig ihre Colle- ginnen sich Frechheiten oder Unhöflichkeiten des Publikums ge­fallen ließen, wie unhöflich diese Damen selber waren, nament­lich gegen Frauen, wie oft sie gelassen weiterschwatzten, während Leute auf Abfertigung warteten, wie redegewandt und schnippisch sie den ihnen feindlich gesinnten männlichen Collegen begegneten. Diese Frauenspersonen, entweder Witwen oder verblühte Mäd­chen, brachte nichts außer Fassung, weder großer Andrang an den Schaltern noch ein Verweis ihres Vorgesetzten noch Un­verschämtheiten fremder Männer. Hinter den Fenstern der Postschalter saßen sie, Briefe in Empfang nehmend und ab­stempelnd, mit ihren vor der Zeit welken Gesichtern, wie man sie nur in einer Großstadt findet, mit ihren modischen Frisuren und an der Stirn rund abgeschnittenen Haaren; warfen einander kurze Sätze, im wiener Jargon gesprochen, zu, gähnten verdrießlich und dankten selten, wenn jemand sie beim Kommen oder Gehen grüßte. Gleich einer Uniform trugen alle den Stempel der Frau, welche das schützende Haus mit dem öffent­lichen Leben vertauscht hat, errötheten niemals, wußten nichts von Scheu oder Verlegenheit. Betty flößte ihnen einiges Mit­leid ein, welchem jedoch eine Art Geringschätzung beigesellt war.

Daran müssen Sie sich gewöhnen," sagten sie zu ihr, wenn das junge Mädchen über irgend eine Unhöflichkeit, die sie nicht ver­dient zu haben glaubte, die Farbe wechselte. Allein Betty ge­hörte zu jener Gattung Frauen, welche sich an derlei Dinge nie­mals gewöhnen. Die Schlagfertigkeit der Rede war ihr versagt, auch wäre es ihr wie Selbsterniedrigung vorgekommen, wenn sie sich mit einem Manne, dem es an Ritterlichkeit gegen ein schutz­loses Weib gebrach, in einen Wortwechsel eingelassen hätte. So also sieht die heißbegehrte Freiheit aus? mußte sie oft denken.

Die alte Geschichte: eine Straßenbekanntschaft, welche zu einem Liebesverhältniß wurde. Er war so recht der Mann nach ihrem Herzen: zartfühlend, ritterlich und herzensgut. Sie wußte, daß er Bankbeamter war, eine Mutter und zwei junge Schwestern besaß, welche sich, da die Mutter beständig kränkelte, derzeit in Meran aufhielten, und auch er kannte ihre ganze, einfache Ge­schichte und wußte, daß sie allein stand in der Welt und keinen anderen Beschützer hatte als sich selbst. Sie liebten sich, und doch vermochte Betty ihres Glückes niemals recht froh zu werden. Wie erleichtert würde sie sich gefühlt haben, wenn eine Familie in Wien gewesen wäre, wenn seine Mutter und Schwestern um ihr Geheimniß gewußt hätten. Schwer fiel ihr bei sol­chen Besorgnissen auf die Seele, daß Mann und Weib doch nicht ein und dasselbe wären. Ihn beunruhigte nichts, er brauchte keinen Zeugen, um seines Glückes sicher zu sein. Er war eben ein Mann und sie ein Mädchen; daran lag es. Als er einmal der Hochsommer neigte sich dem Ende zu in Betty drang, sie möchte doch ihren Beruf aufgeben, er hätte Geld genug, um für sie zu sorgeu, er würde ihr eine Wohnung aus dem Lande miethen, wo sie allein und unbehelligt leben könnte, und er wollte täglich ein paar Stunden bei ihr verweilen, da starrte sie ihn mit fremdem und erschrecktem Blick an und erwiderte kein Wort. Und als er zu sprechen fortfuhr und ihr sagte, daß es ihn unsäglich quäle, sie in der schönen Frühlings­zeit in ein dumpfes Bureau eingeschlossen zu wissen, und daß sie sein Anerbieten, welches im Vergleiche zu allem, was sie ihm gegeben, unendlich armselig wäre, ohne Bedenken annehmen könnte, gebot sie ihm mit rauher Stimme, den Gegenstand fallen zu lassen und nie wieder darauf zurückzukommen. Ein Etwas in ihrem Herzen sagte ihr, daß sie einander schon zu nahe getreten, daß sie vor der Welt ja doch nicht seine Braut wäre, wenn er sie im geheimen auch so nannte, und daß dieses Verhältniß nicht vertraulicher werden dürfte, so lange niemand als sie beide davon wüßten. Sie konnte ihm nichts vorwerfen; daß er zärtlich gegen sie war, darin lag nichts ausfallendes, aber das verborgene Liebesglück fing an, sie gleich einer Sünde zu drücken. Wie, wenn er es nun doch nicht ehrlich mit ihr meinte? Wer bürgte ihr für die Echtheit seiner Gesinnungen? Sie nannte ihr Mistrauen ein schändliches und durch nichts gerechtfertigtes, war jedoch unvermögend, es zum Schweigen zu bringen.Wenn seine Mutter zurückkehrt, wird alles klar werden," suchte sie sich zu beschwichtigen. Aber der Sommer verging, der Herbst kam und nahte seinem Ende, von der Rückkunft der Mutter und Schwestern verlautete kein Wort.

An einem unfreundlichen Octobertage mußte Betty eine erkrankte Collegin besuchen, um einen dienstlichen Auftrag an sie zu bestellen. Die Kranke wohnte in einem Stadttheile, wohin Betty sich selten verirrte, da sie niemand dort kannte und auch sonst dort nichts zu suchen hatte, es wäre denn, daß sie auf den Einfall gerathen wäre , die geschminkte Dame, welcher sie ihre Anstellung bei der Post verdankte, und die in dem besagten Stadttheile wohnte, wieder einmal auszusuchen, was ihr jedoch in Anbetracht der Aufnahme, die sie dort gefunden, sehr fern lag. Ihr Weg führte sie sogar an dem ungastlichen Hause vorbei, und im Vorübergehen that sie einen gleichgültigen Blick hinein und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Aus dem Hause trat ein seltsames Paar: ein altes, lächerlich und widerlich aus­sehendes Weib in jugendlicher Kleidung, das am Arme eines eleganten jungen Mannes hing und mit schmachtend verliebten Blicken zu ihm aufsah. Betty kannte den Mann und kannte die Frau. Im ersten Augenblick dunkelte es vor ihren Augen, und ihr war, als wenn ihr Herz zu schlagen aufhörte, dann aber er­mannte sie sich und vertrat den beiden den Weg.Guten Abend." Sogar zu sprechen vermochte sie und sah auch alles: daß er um einen Schatten bleicher wurde und die Zähne in die Unterlippe grub und sie einen halb abweisenden Blick über des Mädchens abgetragenes Trauerkleid schweifen ließ. Und dann standen sie sich gegenüber und schauten sich gleich Feinden in die Augen.Wer sind Sie? was wollen Sie?" fragte die Frau mit barscher Stimme.Ach, Pardon, Fräulein; ich erkannte Sie nicht sogleich, wie geht es Ihnen? " Sie warf dabei einen ängst­lichen Blick auf ihren Begleiter; der aber hielt die Augen zur Erde gesenkt. Betty vergaß,die Frage,welche an sie gerichtet wor­den war, zu beantworten. Sie wollte nur eins, wollte Gewiß­heit haben. Die Alte hatte sich zum zweiten mal vermählt. Betty erinnerte sich an die ihr fremd klingende Unterschrift, welche ihr im Briefe der Frau aufgefallen war, erinnerte sich auch an die kleine Episode während jihres ersten und letzten Besuches im Hause dieser Frau, wie die Alte nach der Portiere geblickt und mit der Hand gewinkt, und wie jemand, den Betty nicht gesehen, sich vorsichtig zurückgezogen hatte; das war wol er gewesen, der