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In Rußland hatten sich in den Achtziger-Jahren aus den Hebammencursen medicinische Curse für Frauen ent­wickelt, an denen 1091 Hörerinnen theilnahmen, von welchen nicht weniger als 700 das Doctordiplom erlangten. Aus politischen Gründen wurden leider diese Curse kurz darauf wieder geschlossen. Nicolaus II. eröffnete dieselben jedoch nach seiner Thronbesteigung auf's Neue und verlieh den Aerztinnen das Recht, nicht allein wie bisher an Hospitälern als Staats­ärztinnen angestellt zu werden, sondern auch bis zum Chef­arzt avancieren zu können und pensionsberechtigt zu sein; ebenso dürfen auch die Gemeinden weibliche Aerzte anstellen.

Von dem Rechte zu hospitieren machten an den deutschen Universitäten im Wintersemester 1895/96 nur 156 Frauen Gebrauch, und zwar: in Berlin 70, Breslau 14, Freiburg 10, Göttingen 32, Greifswalde 5, Halle 1, Heidelberg 4, Mar­burg 3, Rostock 13, Tübingen 1; an den österreichischen im Ganzen 18, nämlich in Czernowitz 5, Krakau 8, Lemberg 1, Prag 4 Personen. Das sind Daten, welche keines Com­mentars bedürfen, um darzuthun, daß die Entfaltung jeder Geisteskraft abhängig ist von der Freiheit der Bewegung, die nicht nur als Gesetz functioniert, sondern auch von oben herab unterstützt und gefördert werden muß, soll sie in richtiger Wechselwirkung seinerzeit dem Staatswohle zu Statten kommen.

Deutschland wie Oesterreich hat seinen weiblichen Bür­gern, insoweit es ihnen überhaupt Rechte zugestand, nur halbe Rechte gegeben.

Wir wollen hier gar nicht des jüngst geschaffenen, famosendeutschen Familienrechtes" gedenken, das im nassesten Widerspruch mit den Naturgesetzen steht, sondern nur die Verordnungen in Betracht ziehen, welche sich mit dem Franen- studinm befassen. Noch immer ist den Studentinnen der Medicin in Deutschland die Ablegung der Staatsprüfung ver­wehrt. Sie sind genöthigt, das gleichwerthige Examen auf Schweizerboden zu bestehen. In ihrer eigenen Heimat ist ihnen zwar die Ausübung der ärztlichen Praxis nicht untersagt, doch sind sie verpflichtet, etwaige größere Operationen an ihre männlichen Kollegen abzugeben und müssen es sich gefallen lassen, in ihrem Vaterlande vor dem Gesetze als Kurpfuscher zu gelten. Solche Zustände machen es begreiflich, daß Frauen mit approbiertem Fachwissen lieber in ferne Länder gehen, als daheim in den Culturstaaten ersten Ranges zu geduldeten Handlangern ihrer Berufsgenossen hecabsinken zu wollen.

In dieser Richtung können wir bei uns in Oesterreich einen Fortschritt konstatieren, da Fräulein v. Possaner bereits am Wiener Mädchengymnasium angestellt wurde. Nach ihrer Rückkehr aus Holland, wo sie gegenwärtig zu kurzer Erholung weilt, werden die Wiener Frauen Gelegenheit finden, sich ärztlichen Rath bei einer Geschlechts­genossin holen zu können, welche durch den hohen moralischen Muth und die Willensstärke, die sie selber im Kampfe mit Vorurtheil und Engherzigkest bewiesen, sich bereits im Vor­hinein das Vertrauen ihrer künftigen Patientinnen erworben hat. Nur schwer entschließt sich in so manchen Fällen eine Frau zu rückhaltloser Aussprache dem männlichen Arzte gegenüber; es hätte nicht erst einer so enormen Steigerung der ärztlichen Honoraransprüche bedurft, um dies Gefühl der Scheu auch durch pecuniäre Rücksichten um ein Wesentliches noch zu steigern. Dem weibliche» Herzen liegt es näher, die Aufgabe des Arztes alsWohlthäter der Menschheit" vor­wiegend ihrer humanitären Bedeutung nach zu erfassen und das schöne Wort:Kommt her zu mir, Alle, die Ihr mühselig seid und beladen", in Verbindung mit dem Rufe: Lasset die Kindlein zu mir kommen" auch zur That werden zu lassen, ohne vorerst nach ihrem Lohne zu fragen eine That, welcher der Segen vollsten Erfolges unter keiner Be­dingung fehlen wird.

Eine Kollegin Gabriele Possaner's, Fräulein Georgine v. Roth, wirkt, waS nicht übersehen sein soll, bereits seit Jahresfrist als Aerztin am Hernalser Officierstöchter-Jnstttute, allerdings nicht in voller Selbstständigkeit, sondern unter der Oberleitung eines männlichen Fachgenossen. Wir hoffen aber,

nachdem einmal die Bahn durch berufene Vorkämpferinnen gebrochen wurde, trotz der Zurückhaltung, welcher sich der Unterrichtsminister selbst inmitten der schwerwiegendsten Zu­geständnisse den studienlustigen Mädchen gegenüber befleißigt, binnen Kurzem auch hierzulande der strebenden Frauenwelt alle Mittel und Wege erschlossen zu sehen, deren es zur Erreichung eines gemeinsamen Endzieles bedarf.

Zwei Hälften geben wohl in zweckmäßiger Verbindung ein volles Ganzes, nie aber kann aus Halbheiten etwas Vollkommenes erstehen.

Uns aber, die wir noch mitten im Kampfe stehen um unsere Menschenrechte, uns gelte als ermuthigender Losungsrus das Wort, in dessen Zeichen Gabriele v. Possaner gesiegt: läa-bor onaniei, vlucrit!"

A. von Planke nberg.

Nachdruck verboten.

jrauenwerke bildender Kunst.

Ei» Gang durch die Jahresansstellnng des Künstlerhauscs.

Die heutige Männerwelt, wenigstens der gerechte und ehrliche Theil derselben, beginnt den Erzeugnissen geistiger Frauenarbeit mit Interesse, ja mit Anerkennung entgegenzu­kommen. Wir finden heute schon in den Reihen bedeutender Gelehrter warme Mitkämpfer für das Recht der Frau Reale und humane Wissenschaften, Politik und Wirthschaftslehre werden der Frau Schritt für Schrittzugestanden". Nur ein Gebiet ist der Frau ohne Kampf und Widerstreben von jeher überlassen worden, nicht etwa, weil man ihre Befähigung dafür nie anzweifelte, sondern im Gegentheil, weil man sie auch heute noch nicht darin ernst nimmt. Wie einem Kinde, dem man, um es zu beschäftigen oder zu beruhigen, Faden, Nadel und ein buntes Läppchen iu die Hand gibt, damit es glaube, es nähe, so hat mau bis heute widerspruchslos den Frauen, die es so haben wollten, Pinsel und Palette, Meißel und Stift in die Hand gegeben, um sie zu beruhigen und zu beschäi- tigen, wohl auch, um ihnen einen Erwerb zu verschaffen Kunst aber, schöpferische Kunst, »ein, davon ist die Frau von Ewigkeit her ausgeschlossen;sie hat nie eiwas Großes in der Kunst geleistet und wird es nie leisten!"

Seltsam! Wie ist uns doch? Summt uns nicht neben dem Geklingel dieses Sprüchleins noch ein anderes Lied im Ohr, ein Lied von der Kindlichkeit der Künstlernatur, vom ewig Naiven, das den Künstler, das Weib und das Kind zu einer heiligen Trias des Unbewußten vereinigt? Der Künstler ist naiv und beweglich, weil er Künstler ist, sollte sie nicht Künstlerin sein können, weil sie naiv und beweglich ist? Was ist Raivetät anderes als RhytmnS, Tempo, nicht sowohl ein eigener Stoff als eine Schwingung des Wesens, das sich auf sich selbst nicht besinnt. Der Künstler hat nur den festen Hintergrund strenger Lebensdisciplinen voraus, die ihm seine Erziehung gibt. Gebt nur der begabten Frau jenen festen Culturhinter­grund und ihre Beweglichkeit, ihr Lebensrhytmus. der heute in folgelosen Handlungen versprüht, wird sie schnell und sicher zu schöpferischer Kunst hinleiten. Und als sollten wir von einem günstigen Geschick eben jetzt in dieser Hoffnung bestärkt werden, finden wir in der heurigen Jahresausstellung im Künstlerhause das Werk der Bildhauer!» Feodorowna Ries, Bist Du glücklich Mensch!" das über Alles und über Allen thront. Wie eine Paraphrase jenes großenes werde", an dasses anknüpft, steht das Werk da. Aber eineUm- kehrung des UrlhemasEbenbild GotteS" will diese Paraphrase sein, in den Dienst des Zweifels und der Auflehnung gestellt. Dieser Mann, der brütend, entgeistert da vor sich hinstarrt, es ist der Mensch. Der alte Adam ist's, der den Tod getrunken und ihn nun für alle Zeiten weiß, der Bruder jenes Prometheus, der sich Menschen schaffen wird nach seinem Bilde und sie lehren wird:Dein nicht zu achten, wie ich."

Das hat ein Mädchen gedacht, empfunden und mit einer michel-angelesken Kühnheit und Einfachheit in die keuschesten Formen gegossen, die der Gedanke aus sich heraus