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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Dritter Band
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Waffenfabrik Steyr. Durch die vor ungefähr zehn Jahren von der Regierung errichtete k. k. Probiranstalt in Weipert wurde das Vertrauen in die dort erzeugten Waffen noch bedeutend erhöht, und das Renommée der Weiperter Jagdgewehre ist in fortwährendem Steigen begriffen.

Die alte Eisenstadt Steyr, am Einflüsse des Steyrflusses in die Enns, hatte schon seit Jahr­hunderten für das Kriegshandwerk Wehr und Waffen geliefert. Zumeist waren es wohl nur Hieb- und Stichwaffen, sowie Schwert-, Säbel- und Degenklingen, Bajonnete, geschweisste Flintenläufe und Beschlägs- theile für Militärgewehre, sogenannte Garnituren. Die Herstellung compléter Feuergewehre wurde in Steyr nicht geübt, da die Militärgewehre für Oesterreich bis 1866 theils durch die ärarische Gewehr­fabrik in Wien, theils durch die vielen kleinen Gewehrfabrikanten in Wien, Prag und Ferlach hergestellt wurden. An diese Fabriken lieferten die Steyrer Rohr- und Klingenschmiede (darunter die bis zum Jahre 1856 hier bestandene ärarische Rohrschmiede zu Unterhimmel bei Steyr), sowie die Garniturarbeiter ihre Waffentheile, sämmtlich Erzeugnisse der Handarbeit.

Die bedeutenden Wasserkräfte des Steyrflusses wurden von den Rohr- und Klingenschmieden vielfach, theils zum Betriebe der Hämmer, zum Ausreiben der geschweissten Läufe auf den sogenannten Bohr- und Läuterbänken, theils zum Walzen, Schleifen und Poliren der Säbel- und Bajonnetklingen in Anspruch genommen.

Der bedeutendste unter den Steyrer Waffentheile-Erzeugern war zu Ende der Vierzigerjahre Leo­pold Werndl. Derselbe erwarb die bedeutende Wasserkraft in Letten bei Neuzeug a. d. Steyr und er­richtete dort mehrere Objecte für das Schmieden, Bohren und Läutern von Gewehrläufen, Walzen und Schleifen von Säbel- und Bajonnetklingen und Lanzenspitzen. In seinen Steyrer und Lettener Werken wurden Infanterie-, Stutzen- und Pistolenläufe, Ladstöcke, Lanzenspitzen und -Schuhe, Gewehrringe, Griffe, Kolbenkappen, Bajonnete und Säbelklingen, sowie Gewehrrequisiten erzeugt und durchschnittlich 450 Arbeiter beschäftigt.

Nach dem im Jahre 1855 erfolgten Ableben Leopold Werndls wurde das Etablissement von dessen Witwe unter der Leitung ihres genialen Sohnes des Begründers der modernen österreichischen Waffen-Industrie in Steyr, Josef Werndl weitergeführt, und es datiren aus jener Zeit die ersten maschinellen Einrichtungen zum Bohren, Drehen und Fräsen der Läufe und Gewehrtheile. Namentlich durch die Einführung der aus massiven Gusstahlbarren durch Schmieden, Bohren und Drehen hergestellten Läufe bekam dieser Zweig der Fabrication eine neue, von der bisherigen alten Art abweichende Richtung. Nach dem Tode seiner Mutter übernahm Josef Werndl die Etablissements unter der Firma J. F. Werndl & Co. für sich und seine Geschwister. Infolge des im Jahre 1862 ausgebrochenen Krieges zwischen den Nord- und Südstaaten Nordamerikas wuchs auch in Oesterreich die Nachfrage nach Kriegswaffen; die streitenden Parteien warben Hunderttausende von Kriegern, und an Waffen hiefür mangelte es fast gänzlich. Die österreichischen Privat-Gewehrfabriken konnten nicht genug Gewehre fertig bringen, und das Etablissement Werndl in Steyr hatte vollauf zu thun, um der Nachfrage nach Gewehrtheilen und Bajonneten Genüge zu leisten.

Josef Werndl fasste zu jener Zeit die Idee, mit Amerika directe Geschäftsverbindungen anzu­knüpfen und so seinen Fabrikaten ein grösseres Absatzgebiet zu sichern. Um den vorgedachten Zweck möglichst vollständig zu erreichen, reiste Werndl selbst, in Begleitung seines damaligen Werkmeisters Carl Holub, nach den Vereinigten Staaten. Seine Anwesenheit daselbst war von den weittragendsten, günstigsten Folgen begleitet. Durch die Schwierigkeiten, welche sich einer raschen Beschaffung grosser Massen Gewehre entgegenstellten, waren die Nordamerikaner gezwungen, selbst an die Massenfabrication von Gewehren zu gehen, und bei dem Mangel an geübten Plandarbeitern vom Fache musste die ma­schinelle Erzeugung der einzelnen Gewehrtheile platzgreifen, ähnlich wie dies bereits bei der Herstellung der Nähmaschinen in Amerika geübt wurde. Es entstanden die Gewehrfabriken in Hartford, Spring- field etc., die in kurzer Zeit mittelst vollendeter Specialmaschinen Tausende absolut gleicher Exemplare der verschiedenen Gewehrtheile herstellten, aus denen fast ohne jede Nachhilfe die Gewehre zusammen­gesetzt werden konnten.

In dieser Art der Erzeugung, welche allein für die Militärbewaffnung brauchbare Präcisionswaffen herzustellen erlaubt, fand Josef Werndl das Ideal seines Strebens, und sein Entschluss, diese Erzeugungs-

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