solchem Maasse, dass den Claviervirtuosen und Amateurs ein unermesslicher Schatz herrlicher Musik zur Verfügung steht.
Unter diesen Verhältnissen konnte das Clavier nicht Zurückbleiben. Trotz spärlicher und nachlässiger Aufzeichnungen hat uns die Tradition doch eine Reihe von Namen erhalten, welche in Wien an der Vervollkommnung dieses Instrumentes erfolgreich arbeiteten und redlich ihren Antheil hatten an dem Weltruf der Musikstadt Wien. Meister aus dem vorigen Jahrhundert, wie Christof, Kober, Walter, Bleyer, Wachtel, Mathias Müller, Seuffert (1673 —1855), Schweighofer etc. werden in Fachkreisen mit Achtung genannt. Als Firma hat sich nur der letztgenannte Name bis heute erhalten.
Die Einwanderung zweier Kinder des berühmten Augsburger Clavierbauers Joh. Andreas Stein (Schüler Silbermann’s, welcher die Schröter’sche Erfindung übernahm, verbesserte und lohnend auszunützen wusste) war für die Wiener Claviererzeugung ein werthvoller Zuwachs. Die Tochter Nanette Stein, eine vollständig ausgebildete, praktische Claviermacherin (die einzige ihres Geschlechtes), kam mit ihrem Manne, dem Clavierlehrer Streicher, nach Wien, um eine selbständige Werkstätte für Fortepianos zu etabliren, welchem Beispiele ihr Bruder bald folgte.
In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entwickelte sich in Oesterreich, hauptsächlich in Wien, eine fieberhafte Thätigkeit, welche in ununterbrochen folgenden Veränderungen, Verbesserungen und Versuchen ihren Ausdruck und in zahlreichen Patenten autoritative Bestätigung fand. Die Wiener Meister wandten mit Vorliebe der Schröter’schen Mechanik ihre Aufmerksamkeit zu, und diese deutsche Erfindung — in der ganzen Welt durch die englische Mechanik verdrängt ■—• findet nur mehr in Oesterreich ein gerechtfertigtes Asyl. So dürfte auch ihre allgemeine Bezeichnung als «Wiener Mechanik» entstanden sein. Wenn von englischer oder Wiener Mechanik gesprochen wird, so darf man nicht glauben, dass die Form und Zusammenstellung der Mechanikbestandtheile allein den Unterschied für die Qualitäten eines Claviers ausmachen. Nicht nur aus der verschiedenen Art, wie die Hämmer die Saiten berühren, sondern auch je nach Anbringung der einen oder anderen Mechanik ergibt sich eine ganz geänderte Construction und Lage des Resonanzbodens. Der Hammer der Wiener Mechanik schlägt und streift die Saite, während der Hammer der englischen Mechanik die Saite nur schlägt. Aus diesen mechanischen und constructiven Differenzen ergeben sich eigentlich zwei scharf abgegrenzte Systeme, welche ihre eigenthümlichen Charaktereigenschaften in Ton und Spielart haben. Jedes der beiden Systeme, einander gegenüber gehalten, hat seine Fehler und Vorzüge, worüber sich übrigens streiten lässt, zu eigen.
Neue Werkstätten entstanden in Wien, und das k. k. Patentarchiv gibt Zeugnis von der rastlosen Arbeit derselben. In hervorragender Weise betheiligten sich: Streicher (vormals Nanette Stein), Leschen, Joh. Ehlers, Brodmann und dessen Schüler Bösendorfer, Promberger, Joh.Jak. Go 11 , Fried, Lassen, Anders, Hoxa, Jos. F. Ries, ein Bruder des berühmten Componisten, Bachmann, Conrad Graf . . . und wahrhaftig! diese Alten haben für den Erfindungsgeist der Nachkommen splendid gesorgt. So wurde z. B. der Eisenrahmen des genialen Hoxa (Patent 1839) später von aller Welt nacherfunden, Brodmann’s Resonanzboden ohne Berippung erst vor drei Jahren in Deutschland neu patentirt, Fried’s Resonanzboden in Verbindung mit einem zweiten Boden als Membrane kürzlich von einer englischen Firma als neu in den Schalltrichter der Reclame gebracht, während ein amerikanisches Haus sich soeben damit beschäftigt, die gänzliche Freilegung des Resonanzbodens vom Clavierkasten (Promberger 1824) wieder zu erfinden etc. etc. . . ., Ja, wer sucht, der findet; doch der Wissende ruft dem Finder zu: «Alles schon dagewesen!»
Grosse Sprünge gibt es nicht mehr in der weiteren Ausbildung des Pianofortes, ohne dieses Instrument seines Charakters zu berauben. Das Columbus-Ei war die Erfindung der Hammermechanik. Die Aufgabe aller Clavierbauer kann nur sein, an die Erfahrungen der Alten anzuknüpfen, Versuche zur Verbesserung der einzelnen Theile an Versuche zu reihen, kleine und kleinste, dem Laien ganz unscheinbare Verbesserungen aneinander zu passen, um schliesslich ein Claviermodell herzustellen, welches sich von den Clavieren vergangener Jahrzehnte vortheilhaft unterscheidet.
Die in Wien veranstalteten Ausstellungen gaben einen neuen Impuls für die Schaffensfreudigkeit der Industrie. So finden wir im Jahre 1835 (die erste Ausstellung in Oesterreich) nur 10 Aussteller, im Jahre 1839 schon 28, und in der im Jahre 1845 folgenden 57 vaterländische Instrumentenmacher,