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Dr. Ferdinand Stamm.

Das Kinderzimmer.

Wenn fchon der Naturtrieb der Thiere für den neuen Ankömmling lang voraus forgt und felbft der leichtfinnige Schmetterling das Ei in eine Blüthen- knospe legt, damit das auskriechende Raupenkind eine fchöne Wiege und die zubereitete eilte Nahrung findet, und wenn die unftäten Vögel fich im Frühling feftfetzen und ein weiches wohlgefchütztes Neft für ihre Jungen bauen, fo wird es nicht überrafchen, wenn wir bei allen Völkern die hoffende Elternliebe zu der zarteften Sorgfalt für den zu erwartenden neuen Galt veredelt finden. Der reiche Vater baut einen ganzen Flügel an das Schlofs, um dem erfehnten Stammhalter und den l'rinceffinen eine befondere Hofhaltung einzurichten und er (teilt für fie goldene Wiegen als erftes Lager hin ; die Fiirftin beforgt die reiche Ausflattung für ihr Kind : Leibwäfche, Bettzeug, Kleider, hundert Sachen und Sächelchen, für jedes erdenkliche Bedürfnifs und die reichfte Bequemlichkeit des Kindes und flickt wohl mit eigener Hand die Prunkdecke oder ein F'eftkleidchen nach kunst­voller Zeichnung, um zum Gutenden Glanz und Schimmer zu fügen.

Auch der einfache bemittelte Bürger richtet für feine Kinder ein befonderes Zimmer ein, und Hattet es bequem aus, wie wir es in muflerhafter Weife in dem englifchen Kinderzimmer ausgeftellt finden.

Und felbft arme Eltern beftimmen den beiten Winkel ihrer Stube für die Wiege und die hoffende Mutter näht nach der Tagesarbeit halbe Nächte lang an der Leibwäfche des Kindes und Hattet das vom Vater vielleicht nur roh gezim­merte Kinderbettchen aus.

Die Wiffenfchaft gibt den Eltern in diefer Sorge Recht. Sie zeigt ihre flatiflifchen Tafeln, welche die bedenkliche Erfahrung nachweifen, dafs die Hälfte der Gebornen im erlten Lebensjahre ftirbt und ein anderer bedeutender Bruch- theil der übrig gebliebenen aus dem erlten Lebensjahre Krankheiten und Gebre­chen, Blindheit oder Taubheit, krumme Glieder, Ausfatz, Skrofeln und andere Leiden mit hinübernehmen.

Die Lage und Befchuffenheit, die Einrichtung und Ausflattung des Kinder­zimmers ift kaum weniger entfcheidend für die Entwicklung der darin wohnenden Kinder, als die Befchaffenheit der Brutzelle für die Bienen, welche bekanntlich in einer gewöhnlichen kleinen Zelle zu verkümmerten Arbeitsbienen, in einer grofsen befonders gebauten Zelle aber zu einem vollkommenen Bienenweibchen, zu einer Königin, heranwachfen. Im Pavillon des kleinen Kindes waren mehrere Kinderzimmer mit ihrer Einrichtung dargeflellt.

Ein gröfseres Zimmer war von der Möbelhandlung des Herrn S. Löwi aus Wien mit Einrichtungsltücken ausgeflattet, die für muftergiltig gelten können. Im richtigen Verltändniffe des Zweckes war der Prunk und Glanz vermieden, welcher die Sinne des Kindes eher blenden und überreizen, als ausbildend anregen kann.

Die blaue Farbe herrfchte vor. Sie ift neben dem heiklen Grün die mil- defte Farbe. Bei künltlichem Lichte, das mehr oder weniger gelblich gefärbt ift. ergänzt das Blau die gelbliche Mifchung zu einer rein weifsen Beleuchtung.

Die Schränke und Kälten für die Wäfche glichen jenen, welche fich in den Zimmern für die kaiferliche Princeffin am öfterreichifchen Hofe befinden.

Die Kinderwäfche, welche die Hof-Wäfchehandlung des Herrn Carl llofmann in diefern Zimmer ausgeftellt hatte, war ganz gleich der Kinderwäfche Ihrer kaiferlichen Hoheit der Erzherzogin .Marie Valerie, nur mit dem Unter- fehiede, dafs die Leibwäfche der Erzherzogin mit violetter Farbe garnirt ift, während die ausgeftellte Wäfche blau garnirt war.

Der Wickeltifch und die Wiege mit ihrer Ausftattung war denen am kaifer­lichen Hofe nachgebildet.

Ihre Majeftät die Kaiferin hatte geftattet, dafs iiberdiefs der prächtige Kinclerfeffel Seiner kaiferlichen Hoheit des Erzherzogs, dann eine kleine Garnitur