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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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großen Massen kommen hauptsächlich aus Ungarn. Wenn das Modell hier einlangt, läßt der Consectionär den Stückmeister rufen und gibt ihm an, wie er es abzuändern und dem Wiener Geschmacke anzupassen hat. Da wird so manipulirt: Es wird die eine Hälfte aufgetrennt und nach der anderen Halste gearbeitet. Die Stückmeister theilen sich in zwei Gruppen. Die Einen machen die Jacken, die Anderen die Krägen und die anderen Sachen. Bei den besseren Jacken sind bisher ausschließlich Männer be­schäftigt gewesen, und zwar sind das Herrenschneider. Der Stoff ist nämlich sehr schwer zu behandeln. Die billigen Jacken werden auch heute schon von Frauen erzeugt, und findet die Frauenarbeit immer mehr und mehr Aus­breitung, auch bei den besseren Jacken. Die englische Arbeit dürfte wohl in absehbarer Zeit keinesfalls von Frauen erzeugt werden können. Die Krägen werden heute von Frauen erzeugt. Einige Consectionäre haben ihr Geschäft in neuerer Zeit so eingerichtet wie es in Berlin der Fall ist, indem sie nämlich nicht nur für die Provinz und den Export, sondern auch für den Detailhandel in Wien erzeugen. Die Ware wird nur zu einem sehr geringen Percentsatze in den eigenen Werkstätten erzeugt, sondern fast ausschließlich von den Stückmeistern. In der Confection werden auch Kleider erzeugt. Das ist nun so, wie ich es früher geschildert habe. Die kleinen Kunden­meister arbeiten nämlich auch für die Confection, um die Zeit, in welcher sie nichts zu thun haben, auszufüllen. Eine Theilung der Arbeit kommt in dieser Branche weniger vor. Die Jacken werden überwiegend nach Stück gerechnet, und eine Arbeitstheilung greift höchstens insoserne Platz, als jemand die ganze Maschinenarbeit macht oder, wie in größeren Geschäften, daß ein besonderer Bügler vorhanden ist. Alles Andere wird von den ein­zelnen Arbeitern, die das ganze Stück bekommen, gemacht. Soweit eine Theilung der Arbeit überhaupt möglich ist, findet sie hauptsächlich bei der billigen Ware statt, und zwar in Folge der schlechten Bezahlung. Sie ist aber bei der Confection aus verschiedenen Gründen nicht so leicht durchführbar, weil nämlich die Arbeit eine sehr verschiedene und meistens kaum einige Dutzend Stücke ein und dieselbe Facon haben. Die billige Ar­beit aber wird mehr gleichmäßig erzeugt. Die ist für das flache Land, und da wird fast Alles gleich gemacht, deshalb ist auch da eine größere Arbeits­theilung möglich. In der Confection gibt es theilweise auch Gehilfen und Arbeiterinnen, die bei dem Meister Wohnung und Verpflegung haben und nur einen geringen Lohn bekommen. In dieser Branche sind die Verhält­nisse am schlechtesten.

Vorsitzender: Sie haben gesagt, daß Reisende mit den Mo­dellen zu den Kaufleuten in die Provinz fahren. Sind das Männer? Exp. Smitka: Ja, ausschließlich.

Vorsitzender: Dann haben Sie mitgetheilt, daß die Kaufleute nach diesen Modellen bestellen, daß sie aber dann die Jacke nach diesen Mustern in der Provinz machen lassen. Bekommen die Consectionäre keine Vergütung dafür, daß sie die Modelle zur Verfügung stellen? Experte Smitka: Der Consectionär kennt schon seine Kunde. Er weiß schon, wenn er die Modelle bei mir kauft, läßt er sie nicht bei mir machen. Daher ist auch der Preis des Modells entsprechend. Die Concurrenz ist ja eine ungeheure, und da werden die Provinzkaufleute von den Wienern über­laufen.

Vorsitzender: Sie haben mitgetheilt, daß die besseren Jacken überwiegend von Männern gemacht werden. Wie ist die Erzeugung einge­richtet? Sind das Leute, die man etwa Sitzgesellen nennen kann? Exp. Smitka: Nein, das sind Stückmeister. Die bekommen die Arbeit, schneiden sie zu und geben sie dem Arbeiter. Sitzgesellen kommen hier nur in sehr vereinzelten Fällen vor. Der Consectionär hat nämlich ein In­teresse daran, daß er mit möglichst wenig Leuten verkehrt, weil es ihm