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wenigstens mehr, als anderswo. Die Lokalitäten in unserer Fabrik sind ganz gut, sie sind sehr licht und groß. Der Tract, in welchem wir uns be­finden, hat etwa 20 Fenster. Wir haben elfstündige Arbeitszeit. Das Ver­hältniß der Arbeiter zum Werkmeister ist ein freundliches. In der Näherei ist eine Frau die Vorgesetzte, welche die Arbeit vertheilt, die ist allerdings manchmal etwas launenhaft gegenüber den Arbeiterinnen. Strafen gibt es keine. Die Sonntagsruhe wird vollkommen eingehalten. An Feiertagen sind nur die Zuschneider da und diejenigen Arbeiterinnen, welche nach der Woche gezahlt werden. Wir Zuschneider kommen um 8 Uhr Früh und gehen um ' 2 I 2 Uhr weg und bekommen dafür den ganzen Tag gezahlt. An hohen Feiertagen wird, was vielleicht in keinem anderen Betriebe Wiens der Fall ist, bei uns die Arbeit gezahlt.

Wittelshöfer: Wie ist es am ersten Mai? Exp. Plaß: Wenn viel zu thun ist, so sagt der Chef:Bleiben Sie da, ich brauche das und das, gehen Sie zu Mittag fort". Vor zwei Jahren war um den ersten Mai herum ein Feiertag, und da hat der Chef gesagt:Ich habe viel zu thun, arbeiten Sie halt am ersten Mai Vormittags und an dem Feiertag arbeiten Sie wieder Vormittags, da haben Sie drei Nachmittage frei". Er geht also in dieser Beziehung sehr coulant vor.

Exp. Nr. 68 (über Befragen seitens des Vorsitzenden): Ich bin schon 14 Jahre in dieser Branche, momentan nirgends beschäftigt. Ich war in vielen Fabriken. Ich war auch bei der Firma, über die der Herr Experte aussagte, bin aber nicht so gut behandelt worden. Man hat mir dort den Stuhl vor die Thür gesetzt, und da bin ich zur Genossenschaft klagen ge­gangen. Das wird mir überall heute noch vorgeworfen. Wenn ich Arbeit suche, sagt man:Ja, Sie laufen gleich zur Genossenschaft klagen". Die Be­handlung in dem Betriebe des früheren Experten ist keine gute, denn die Frau, welche das ganze Geschäft führt, ist sehr launenhaft, und was sie will, setzt sie durch. In einer anderen großen Fabrik, wo ich war, war die Behandlung besser, aber die Bezahlung ist sehr schlecht. Ich würde dort nicht mehr hingehen, weil ich mich nicht so schinden lasse. Dort bekommen sie für ein Dutzend Hemden, und zwar für bessere Waare, st. l'50 für das Nähen. Dabei muß man sich noch die Unterwolle, die Nadeln, das Oel und Petroleum u. s. w. selbst kaufen. Daß man sich bei unserer Branche fl. 9 oder 10 verdient, ist nicht wahr. Man kann sich st. 9 verdienen, aber da hat man mehr als 12stündige Arbeitszeit. Da muß man bis tief in die Nacht arbeiten. In der Fabrik, von der ich zuletzt gesprochen habe, habe ich mich um die Brutalitäten, welche anderen Arbeiterinnen zutheil geworden sind, angenommen, denn ich kann nicht! zuschauen, wenn einer Unrecht ge­schieht, und deshalb hat man mich fortgeschickt. Ich gehe jetzt überhaupt in keine Arbeit mehr, weil ich nicht zusehen kann, wie die Anderen chicanirt und die armen Mädeln ausgesogen werden. Mit 14 Jahren kommen sie in die Fabrik und werden von einer älteren Näherin abgerichtet. Diese schaut aber nur, daß sie selbst etwas verdient, und das Mädchen lernt nichts. Die kleinen Herren nehmen die Mädchen vom Lande, die werden auf zwei Jahre aufgedungen, müssen sich bis spät Abends abrackern, auch Fußboden auf­reiben und dergl., und die Kost, welche ihnen dieser Herr vorsetzt, wird auch nicht gut sein. Ich bin Witfrau, habe Kinder und beschäftige mich, indem ich zu Hause Knopflöcher nähe und vernähe. Da bekomme ich für das Dutzend Hemden 72 kr. Die schlechteren Qualitäten der Hemden, wo nur vier, fünf Knopflöcher in dem Hemd sind, werden mit 4 kr. per Stück bezahlt. Da sind in einer Fabrik oft Mädchen gesessen, die haben nur fl. 3 in der Woche verdient; ich habe oft von meinem höheren Lohn Einer eine Zuspeise gezahlt. Manche sind sogar nicht höher als wie auf fl. 2 gekommen. Die Hemden, wo ich je vier Knopflöcher machen und vernähen muß, wofür ich 48 kr. für das Dutzend bekomme, werden mit dem 70er Zwirn gelöchert.