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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Verkauf: Kommen häufig Katarrhe vor? Exp. Nr. 74: Hie und da sind auch Einige krank. Manchmal fällt Eine während der Arbeit um, in Folge des Dunstes. Hie und da werden zwar im Hochsommer eine halbe oder eine Stunde ein oder zwei Fenster aufgemacht, aber sonst ist Alles zu.

Dr. Riedl: Wie alt ist Ihr Kind? Exp. Nr. 74: Acht Monate. Es ist das dritte Kind, zwei sind gestorben. Eins mit 15 Monaten und eins mit drei Monaten. Das erste hat die Flecke gehabt und Lungen­entzündung, das zweite ist an Fraisen gestorben. (Ueber weitere Fragen.) Während der Schwangerschaft habe ich die Arbeit nicht ausgesetzt. Erst acht Tage vor der Geburt und nach derselben bin ich vier Wochen zu Hause geblieben. Ich bin 23 Jahre alt.

Dr. Adler: Wollen Sie vielleicht selbst nicht die Fenster im Local ausmachen? Exp. Nr. 74: Wir wollten schon, aber wir dürfen nicht wegen des Staubes.

Dr. Adler: Sie müssen ja bei der Arbeit viel Durst leiden? Exp. Nr. 74: O ja. Wir hätten im Arbeitslocal ganz gutes Wasser, wir dürfen es aber nicht benützen, damit die Wäsche nicht naß wird. So müssen wir hinausgehen trinken, und das Wasser aus dem Bassin dort, welches gleich neben dem Abort ist, hat einen üblen Geruch. (Ueber Befragen.) Zum Gabelfrühstück kriegen wir Bier, aber während der Arbeit dürfen wir nichts essen und nichts trinken. Zur Jause kommt die Kaffeesiederin. Zu Mittag bin ich zu Hause. Die Anderen bleiben im Geschäfte und holen sich vom Wirths- hause Suppe und Zuspeise und ein Seidel Bier. Diejenigen, die sich ein Krügel Bier kaufen, kaufen sich nur Zuspeise oder Suppe. Auch die Büglerinnen machen es so. Wir würden freilich mehr trinken, wenn wir's hätten.

Dr. Adler: Ißt auch Ihr Mann zu Mittag zu Hause, und wird gekocht? Exp. Nr. 74: Die Schwiegermutter kocht. Abends essen wir Suppe und Gemüse, denn Fleisch bleibt von Mittag nicht übrig.

Engel: Ist die Stiege, wo die Wäscherinnen heraufgehen, geheizt? Exp. Nr. 74: Nein. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wir haben drei Aborte. Der eine ist zugesperrt, der zweite ist im Hofe. Dorthin gehen die Büglerinnen nicht, damit sie nicht so viel Zeit versäumen. Daher gehen Alle auf den dritten Abort. (Ueber weiteres Befragen.) Zum Vorgesetzten haben wir einen Mann. Dieser entscheidet auch über die Abzüge. Er ist erst kurze Zeit bei uns. Die Arbeiterinnen sind der Mehrzahl nach ledig. Ich habe eine selbstskkindige Wohnung in Sechshans, Zimmer und Küche, und zahle fl. 7 50 monatlich. Das Zimmer hat zwei Fenster, und es schlafen darin drei erwachsene Personen und ein Kind. Wir haben zwei Betten und ein Kinderbett.

Dr. Adler: Wenn Sie nach Hause kommen, haben Sie dann nichts zu thun? Exp. Nr. 74: O ja! Hausarbeit, Wäscheflicken u. dergl., insbesondere am Sonntag.

Vorsitzender: Arbeitet auch die Schwiegermutter etwas? Exp. Nr. 74: Nein, die ist schon 62 Jahre alt.

Dr. Adler: Ist Ihr Mann fortwährend beschäftigt? Expertin Nr. 74: Ja, ich bin übrigens erst zwei Jahre verheiratet.

Expertin Nr. 75 (über Befragen seitens des Vorsitzenden): Ich bin Heim­arbeiterin und betreibe diese Beschäftigung schon 14 Jahre. Ich bin 13 Jahre verheiratet. Ich arbeite ausschließlich Mieder. Wo ich jetzt bin, habe ich das ganze Jahr Beschäftigung. Es gibt Zeiten, wo weniger zu thun ist, aber Beschäftigung habe ich immer. Ich arbeite für eine größere Fabrik, die 180 Näherinnen außer Haus beschäftigt. Es gibt dreierlei Näherinnen. Die minderen haben 5 kr. für ein Mieder. Die können bei zwölfstündiger Arbeitszeit nicht mehr als ein Dutzend machen, fl. 1 haben sie in der Woche für die Maschine zu zahlen, und die Wolle kommt ihnen in der