Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
337
Einzelbild herunterladen

837

tragen wir vier, fünf auf einmal in's Magazin. Strafen und Abzüge kommen nicht vor. Wir werden aber sehr geschimpft, selbst vom Chef. Wir müssen uns das leider gefallen lassen, denn wenn Eine etwas sagen würde, so wäre sie nicht sicher, ob sie nicht auch noch Schläge bekommen würde.

Dr. Ofner: Haben Sie gleich nach den fl. 3 fl. 4 bekommen? Exp. Nr. 96: Nein. Nach sieben Wochen bekam ich 20 kr. Zulage und dann alle paar Wochen eine kleine Zulage, und erst vor sechs Wochen habe ich sl. 4 bekommen.

Dr. Ofner: Wie viel Arbeit verrichten Sie Vormittags, wie viel Nachmittags? Exp. Nr. 96: Wir machen Vormittags zehn Sud und Nachmittags auch. Jeder Sud hat 10 Kilo. Heimarbeiterinnen gibt's bei uns nicht. In unserem Geschäfte sind keine Verkäuferinnen, weil wir keine Filiale haben.

Dr. v. Fürth: Ist Ihre Arbeit nicht insofern gefährlich, als Sie bei der Maschine hineingreifen können? Exp. Nr. 96: Ich selbst bin hineingekommen; da kann man sich zwicken und schneiden. Es kommt nicht oft vor, aber wie ich mich geschnitten habe, war ich drei Wochen zu Hause. Unsere Arbeitszeit ist von 7 bis 12 und von 1 bis 6 Uhr. Vormittags und Nachmittags haben wir keine Pause. Man kann zwar während der Arbeit essen, aber da schaut der Herr gleich nach, ob wir nicht vielleicht Zuckerl epen, und deshalb müssen wir es versteckt thun. Manchmal ist Arbeit auch an Sonn- und Feiertagen von 7 bis 12 Uhr. Mit der Kündigung ist es folgendermaßen bestellt: Wenn eine Arbeiterin fortgehen will, so muß sie acht Tage vorher kündigen, wenn aber der Herr eine Arbeiterin bei einer Unregelmäßigkeit erwischt, so wirft er sie sofort hinaus.

Vorsitzende: Was sind das für Unregelmäßigkeiten? Expertin Nr. 96 : Wenn zum Beispiel Eine bei der Arbeit steht und nichts thut, oder wenn sie sich wohin setzt, um auszuruhen. Der Herr ist den ganzen Tag in der Fabrik, er hat keinen Werkführer. Wir haben eine Fabriksordnung, aber noch nicht seit langer Zeit. Sie ist im Laboratorium, und da steht darin, daß der Herr auch an eine achttägige Kündigungsfrist gebunden ist.

Vorsitzende: Ist es noch nicht vorgekommen, daß eine Arbeiterin wegen der achttägigen Kündigungsfrist einen Proceß angefangen hat? Exp. Nr. 96 : Nein. Zu Ostern und gegen Weihnachten ist sehr viel zu thun, im Jänner, Februar werden dafür Arbeiterinnen entlassen. Im Juni, Juli ist auch weniger Arbeit, da werden aber keine Arbeiterinnen entlassen.

Engel: Ist die Sonntagsarbeit eine gewerbliche oder werden nur Postpackete u. dergl. gemacht? Exp. Nr. 96 : Sonntags arbeiten nur Einige, und zwar meist Arbeiten, welche in die Kanzlei gehören.

Dr. Schwiedland: Werden in der stillen Zeit weniger Stunden am Tage gearbeitet? Exp. Nr. 96: Nein. Schutzvorrichtungen bestehen bei uns keine.

Dr. Lode: Es besteht vielleicht eine, aber sie ist außer Function. Exp. Nr. 96 : Nein, es besteht keine, wo ich jetzt bin. In der Fabrik, wo ich früher war, waren Schutzvorrichtungen. Ich habe, wie ich mich geschnitten habe, Eibischteig und Salmiak geschnitten, da muß man nämlich auf das Leder diese Stangerln legen. Ich wollte das Leder Hineinschieben, und weil es nicht gegangen ist, bin ich hineingekommen, und wie ich umgedreht habe, habe ich zwei Finger durchgeschnitten. Wir haben als Vorgesetzte eine Magazineurin und eine Vorarbeiterin. Geschenke sind im Allgemeinen nicht üblich, aber es kommt vor, daß gesammelt wird, und dann sind Diejenigen, welche etwas hergeben, viel besser angesehen als die Anderen. Dafür werden, allerdings nur sehr selten, Gegengeschenke gemacht, wenn zum Beispiel die Arbeiterin Namenstag hat. In der Früh esse ich Kaffee, Vormittags eine Semmel, die ich mir von zu Hause mitnehme, zu Mittag kaufe ich mir das Nahrhafteste, was ich mir um das Geld verschaffen kann, einen

22

Frauen-Enquöte.