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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Vorsitzender: Der Inhaber eines Etablissements aus der Confectionsbranche, Herr Ernst von Wagner, Chef der Firma Ch. Drecoll, hat sich als Experte angemeldet. Sie haben erst seit Kurzem das Geschäft übernommen, können Sie uns auch über die Verhältnisse in demselben, wie sie in früherer Zeit waren, Auskunft geben? Exp) v. Wagner: Ja. Ich beschäftige momentan ungefähr 200 Personen, und zwar etwa 15 Percent mehr Männer als Frauen. Bei dem höchsten Stande werden 250, bei dem niedrigsten 150 Personen be­schäftigt; letztere bleiben das ganze Jahr im Unternehmen. Es kommt aber auch vor, daß die Arbeiter wechselweise aussetzen. Das wird so eingerichtet, damit nicht ein Theil ganz unbeschäftigt bleibe.

Vorsitzender: Es hat eine Expertin ausgesagt, daß* es in den Salons oft Monate gebe, wo gar nichts zu thun sei. Experte von Wagner: Das mag sein, bei uns ist das nicht der Fall. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wir machen sowohl Kleider als Confectionswaare, und zwar Alles im Hause. Die Männer machen die schwere Arbeit, die gründ­licher gemacht werden muß. Sie machen Röcke, Taillen, Confectionswaare, und nur die leichten Sachen, die Garnituren rc., werden von den Frauen gemacht. Die einfachen Schöße werden theils von Männern, theils von Frauen gemacht, je nachdem die Arbeit schwerer oder leichter ist.

Vorsitzender: Waren Sie schon früher in Wien thätig, bevor Sie das Geschäft übernommen haben? Exp. v. Wagner: Ich bin erst seit August vorigen Jahres in Wien. Ich war früher in Frankreich, Holland und Deutschland, in Wien aber nicht.

Vorsitzender: Man hat uns gesagt, daß die schlechteste Zeit im Juli sei. Exp. v. Wagner: Das ist richtig; ich habe das aus den Büchern ersehen. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Unsere Arbeiterinnen sind aus ganz verschiedenen Kreisen. Es sind welche darunter, die aus sehr guten Familien sind, die es aber doch nöthig haben, Geld zu verdienen, dann wieder solche aus niedrigeren Familien. Wir machen da natürlich keinen Unterschied, weder in Hinsicht auf die Leistung, noch auch auf die Bezahlung.

Vorsitzender: Es gibt wohl bei Ihnen auch Anfängerinnen? Sind die Lehrmädchen ausgedungen? Exp. v. Wagner: In unserem ganzen Betriebe sind nur zwei Lehrmädchen. Das geht von der Genossenschaft aus; man soll nicht mehr als zwei Lehrmädchen im Ganzen haben. Diese zwei werden ausgedungen, nachdem sie bei uns zwei Jahre gearbeitet haben. Von diesen beiden ist eine die Tochter eines Briefträgers. Ueber die Familie der anderen kann ich keine Auskunft geben. Die Lehrmädchen werden sogleich zur Arbeit gesetzt und nähen zuerst leichte Arbeiten. Sie haben keine Gänge zu machen; höchstens im Hause selbst müssen sie von einer Arbeitsstube in die andere gehen, um etwas zu holen, aber auch das ist selten. Für diese Gänge im Hause haben wir nämlich die sogenannten Zubringerinnen", das sind fertige Arbeiterinnen, von welchen in jedem Atelier eine vorhanden ist, welche die Arbeit den Arbeiterinnen zubringt.

Vorsitzender: Müssen die Lehrmädchen nicht bügeln? Experte v. Wagner: Je nachdem es mit ihrer Arbeit zusammenhängt. Im All­gemeinen bügeln die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Die Lehrmädchen haben zunächst die Arbeit des Einfütterns, dann das Nähen von ganz glatten Sachen, bis sie etwas geschickter werden. Hierauf bekommen sie allmälig schwerere Sachen, bis sie ganz ausgebildet sind.

Vorsitzender: Bleiben sie denn nicht bei bestimmten Arbeiten? Exp. v. Wagner: Es kommt vor, daß ein Arbeiter das Departement, die Branche wechselt, aber das ereignet sich dann nur, wenn gerade bei einem Fach mehr zu thun ist. Auch bei den Lehrmädchen ist es so. Die bleiben auch gewöhnlich bei ihrem Fach.