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nicht kleine Geschenke: einmal hat ihr eine Arbeiterin eine Seidenschürze spendirt, nnd sie hat dieselbe nicht einmal angenommen ; sie bekommt Ringe und Armbänder. Erst vor Kurzem hat ihr Eine ein Armband gebracht, nnd die kriegt auch sehr viel Arbeit. Die Snbunternehmerin, die das gegeben hat, ist eine Beamtensfran; sie arbeitet, damit sie ihren Sohn studiren lassen kann. Sie bekommt auch die bessere Arbeit, weil sie sehr viel schmiert. Ich wohne bei meinen Eltern, die auch nicht in den besten Verhältnissen sind. Der Vater ist Bauarbeiter. Im Winter geht es uns recht schlecht, im Sommer leben wir so wie eben eine Arbeiterfamilie lebt. In der Früh trinken wir Kaffee, zu Mittag essen wir Suppe, Fleisch nnd Gemüse und am Abend irgend eine Kleinigkeit. Ich gehe Mittags nach Hause: da werden 4o Deka Fleisch gekocht, und zwar für sieben Personen: meine Eltern, zwei Brüder, die in der Lehre sind, zwei kleinere Brüder und ich. Das Fleisch ist „Vorderes". Es ist so wenig, daß man überhaupt kaum mehr von „Fleisch" reden kann. Ich selbst bekomme kein Fleisch; das essen nur der Vater und die zwei Brüder, die in der Lehre sind. Im Winter haben wir nur Einbrennsnppe und Gemüse. Da geht es den: Vater mit der Arbeit schlecht, und ich verdiene dafür etwas mehr, nämlich fl. 4 bis 5, wenn ich auch keine ganzen Wochen habe. Im Sommer bekomme ich oft nur fl. 2; von Juni bis August ist für mich die schlechteste Zeit. Wir bewohnen Zimmer und Küche: es schlafen darin stehen Personen in vier Betten. Im Zimmer sind drei Betten: die Eltern und ein Bnb schlafen zusammen in zwei Betten und ich mit meinem Kind im dritten Bett. In der Küche schlafen zwei Brüder in einem Bett. Wir wohnen in Renlerchenfeld: die Fabrik ist in Ottakring, nnd ich habe nicht weit hinzugehen. Wir zahlen fl. II Zins im Monat. Kleider und Wäsche schaffe ich mir in der Art an, daß ich den Stoff auf Raten kaufe. Es kommt ein Agent in's Hans, dem gibt man wöchentlich 50 kr. Er kommt so ziemlich das ganze Jahr ein- casfiren, nur im Winter während ein paar Wochen nicht, weil er weiß, daß kein Geld da ist. Die Kleider lasse ich dann bei einer Kleidermacherin nähen, der ich fl. 4'50 bis 5 Macherlohn und etwa fl. 2 für Zugehvr zahle. Von meinen Colleginnen ist die eine selbstständig nnd hat einen Verehrer, der Schriftsetzer ist; der zahlt ihr das Nachtmahl nnd außerdem hat sie üm 12 kr. den Mittagstisch bei ihrer zukünftigen Schwiegermutter. Sonst lebt sie sehr sparsam, weil sie nur fl. 4'5o verdient. Die anderen Mädchen leben sehr schlecht: zum Gabelfrühstück essen sie um 1 kr. Brot und um 1 kr. Speck, zu Mittag nur Suppe mit Brot oder Würstcln mit Saft: sie können auch auf ihre Kleidung äußerst wenig verwenden nnd sich dieselbe nur auf Raten beschaffen. Man muß den ganzen Tag gebückt fitzen, weil man alle Arbeit aus dem Schoß macht: wenn Eine einmal gerade sitzt, so schaut die Frau schon, was man treibt. Die meisten Mädchen haben auch Schulden, und zwar beim Grcißler nnd bei der Bettfran. Die Mehrzahl der Arbeiterinnen unserer Branche sind in der Krankencasse. Die meisten der nicht besteuerten Zwischenmeisterinnen zahlen keine Beiträge an die Krankencasse und die besteuerten auch nur für jene Mädchen, die dort dauernd arbeiten. Ich selbst bin in der Krankencasse und zahle lo kr. wöchentlich.
V orsi tz e nde r: Was machen denn diese Mädchen für Unterhaltungen mit? — Exp. Nr. 121 : Sie gehen spazieren.
Vorsitzender: In's Theater können sie nicht gehen? — Expertin Nr. I2l: Manchmal, in's Volkstheater aus den 20 kr.-Platz. Zleber Befragen des Vorsitzenden.) Unsere Arbeiterinnen lesen selten Bücher oder Zeitungen, auch nicht die „Arbeiter-Zeitung", höchstens das „Extrablatt". Wir haben eine Organisation, wir gehören zur Wäschebranche; ich bin auch dabei, aber es sind unter den circa 1000 Cravattennäherinnen nur drei zu verzeichnen, die in der Organisation stehen; sie haben eben kein Interesse