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magische Kraft zugetraut wurde, weshalb ihr Gebrauch mit allen priester- lichen Weihen zusammenhing, mit Poesie und Weissagung, Opfer und Zauber, die alle unter sich verwandt sind. Der Zauber ward durch Lieder vollbracht. Das todte Zeichen an sich galt für nichts, es ward erst lebendig durch das Lied, die schlummernde Zauberkraft mußte Gesang wecken. Deshalb können wir ferner

Odin als Gott der Dichtkunst betrachten. InOdins Nunen- lied" (das aus 165 Strophen besteht) zählt er viele solcher zauberkräftigen Lieder auf, die er kann.

Ein Drittes weiß ich, deß ich bedarf

Meine Feinde zu fesseln.

Die Spitze stumpf' ich dem Widersacher;

Mich verwunden nicht Waffen noch Listen.

Ein Viertes weiß ich, wenn der Feind mir schlägt In Bande die Bogen der Glieder:

Sobald ich es singe, so bin ich ledig.

Von den Füßen fällt mir die Fessel.

Ein Elftes kann ich, wenn ich zum Angriff soll Die treuen Freunde führen.

In den Schild sing ich's, so ziehn sie siegreich,

Heil in den Kampf, heil aus dem Kampf,

Bleiben heil, wohin sie ziehen.

In diesen Runenliedern, die (mit den Runen verbunden) jeden Zauber vollführen, besteht die Allmacht Odins. Daraus geht hervor, welche hohe Wichtigkeit unsere Vorfahren der Dichtkunst beilegten.

Bragi. Wie das ursprüngliche, allumfassende Wesen Odins allmälig auf andere Götterpersönlichkeiten übertragen wurde, so ist auch die Gabe der Dichtkunst, der Beredsamkeit auf einen der Äsen noch besonders über­tragen, nämlich auf Bragi, einen Sohn Odins, von dem es auch heißt, seine Zunge sei mit Runen beschrieben. Er ist der Urheber der eigentlichen Skaldenkunst, die nach ihm auch Bragur heißt.

Jdun ist Bragi's Frau;sie verwahrt in einem Gefäße die Aepsel, welche die Götter genießen sollen, wenn sie altern, denn sie werden alle jung davon, und mag das währen bis zur Götterdämmerung." Durch die Aepfel ist Jdun für die Äsen eine wichtige Persönlichkeit. Die Riesen,