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Goldstücke anbringen können, so viel es der Anstand erfordert. Ver­schwenden wollen wir nicht, weder Mama noch wir Grazien; aber wir wollen doch fein aussehen, es klingt sehr schmeichelhaft, wenn es heißt: die schöne Baronin aus Alt-Neudorf und ihre drei Baronessen haben immer die elegantesten Toiletten auf den Bällen! Papachens Mund lächelt, wenn ihm solch Urtheil zu Ohren kommt. Ich bin nun schon vier Wochen im Vaterhause mit dem Bewußtsein der abgeschüttelten Schulzeit. Ganz mit Absicht habe ich nicht früher geschrieben, um einen festen Standpunkt zu haben bevor ich berichte. Jetzt habe ich den Standpunkt, ich bin ganz eingelebt. Meine Schwestern wundern sich und sagen:Die Anny ist viel schneller gereift, als wir." Das kommt daher, weil ich schon lange mit meinen Gedanken an der Seite der Schwestern gestanden, meine letzte Schulzeit wurde eigentlich nur sn durchlebt, eigentlich

phantasirte ich mich in's Leben der Zukunft hinein und darum konnte ich gleich mich zurecht finden, als die Zukunft zur Gegenwart geworden war. So mag es wohl auch den Reichstagsabgeordneten gehen, die sind immer gleich so flott zum Reden bereit, wenn sie gewählt wurden, ja, die leben wahrscheinlich auch schon mit der Phantasie im Voraus sich in den Reichs­tag ein. Du wunderst Dich wohl über meinen Vergleich, aber sieh, der kommt ganz natürlich: Man hört ja fortwährend von Politik reden, die jungen Mädchen sprechen auch mit, alle Dafür und Dawider hört man durcharbeiten, denn man kann sich nicht die Ohren verstopfen; nämlich vom Lande aus fährt man oft zu Diners und die Tafelfreuden werden immer mit dem Reichstage gewürzt, das muß man mit in den Kauf nehmen.

Wir wohnen wunderhübsch, wir drei Schwestern, wir haben z. B. einen Schlafsaal, der an die Pension erinnert, aber wie reizend! Unsere Stuben im Schloß sind alle sehr groß, wir Schwestern bewohnen einen Flü­gel, der aus zwei Räumen besteht, Wohnstube, Schlafstube. In der Wohn­stube stehen unsere Nähtische, ein Pianino, ein Bücherschrank, drei Schreib­tische und ein Sopha, damit ist die Stube gefüllt, das heißt, Spiegel und Blumentisch fehlen auch nicht. Im Schlassaal, wie ich das zweite Zimmer nenne, stehen unsere drei Betten, jedes in einem aparten Stäbchen, das durch eine spanische Wand gebildet ist, diese spanische Wand um­schließt im Viereck nicht blos das Bett, sondern Toilettentisch mit Spiegel. Zwischen dem Fensterpfeiler haben wir außerdem einen prachtvollen Steh- spiegel, auch Toilettenspiegel genannt, da sieht man seine ganze Gestalt, man kann von Kopf bis Fuß den Eindruck der Toilette beurtheilen, die