ACTIENGESELLSCHAFT DER LOCOMOTIVFABRIK

VORMALS G. SIGL WIENER-NEUSTADT.

m 28. Februar 1842 wurde in Wr.-Neustadt zwischen C. v. Prevenhuber, Bevollmächtigtem des Eisen­werksbesitzers Josef Sessler einerseits, und den Herren W. Günther, Ingenieur der Wien-Raaber Eisenbahngesellschaft, H. Bühler und F. Armbruster, Maschinenmeister vorgenannter Gesellschaft anderseits ein Vertrag geschlossen, mit welchem Josef Sessler sich verpflichtete, dem Kaufconsortium den entsprechenden Material- und Baarcredit zur Verfügung zu stellen. Den Ankauf eines Fabriks­gebäudes, dann die Einleitung und die Durchführung des Baues von Locomotiven übernahmen die Käufer.

Es wurde in Wr.-Neustadt eine am Fischaflusse gelegene, mit Wasserkraft versehene Fabrikslocalität erworben, welche vordem zur Wattaerzeugung und noch früher als Gewehrschleiferei gedient hatte.

Mit recht kleinen Mitteln wurde auf diese Weise eine der ältesten Locomotivfabriken des Continents gegründet.

Der neuen Fabrik in Wr.-Neustadt diente für den Bau der ersten Maschine eine Locomotive als Muster, welche im Jahre i838 von der Wien-Gloggnitzer Eisenbahngesellschaft in Amerika angekauft worden war. Nach dem Modelle dieser Locomotive wurde der Bau von 6 Locomotiven in Angriff genommen, und hierauf 2 grössere Locomotiven für die Kaiser Ferdinands-Nordbahn gebaut.

Der Gesellschaftsvertrag wurde im Jahre 1845 aufgelöst, und die Fabrik ging nun in den Alleinbesitz des Herrn W. Günther über, dem es gelang, für die begonnene k. k. nördliche Staatsbahn (Brünn Prag), sowie für die Kaiser Ferdinands-Nordbahn von der k. k. österreichischen Regierung Aufträge zu erhalten.

In ehrenvoller Weise betheiligte sich W. Günther an dem 1850 von der österreichischen Regierung ausge­schriebenen Concurse für den Bau einer entsprechenden Locomotive zum Betriebe der Semmeringbahn. Unter den vier zu den Preisfahrten zugelassenen Locomotiven erhielt Günthers «Wiener-Neustadt» den zweiten Preis.

In die Zeit der ersten Fünfzigerjahre fällt die Einführung des Locomotivbetriebes auf der ersten öster­reichischen Eisenbahn, der schmalspurigen Linz-Budweiser Pferdebahn. Für diese mit vielen Curven von kleinem Radius versehene Bahn mussten bei überdies schwachem Ober- und Unterbau Locomotiven specieller Construction in Anwendung kommen, welche von W. Günther gebaut wurden.

In das Jahr 1854 fallen beträchtliche Erweiterungsbauten der Fabriksanlagen.

Für die Jahre 18551857 ist der Bau einer grösseren Anzahl von Locomotiven nach System Engerth be­zeichnend. Die Wr.-Neustädter Fabrik construirte in diesen Jahren 49 Stück solcher Locomotiven. Die Beschäfti­gung der Fabrik in dieser Zeit war überhaupt wesentlich besser als früher. Dieser grösseren Leistung gegenüber waren aber die vorhandenen finanziellen Mittel unzureichend. Dieser Umstand war Veranlassung, dass die Credit- anstalt die Verwaltung der Fabrik in die Hand nahm. Es wurde Herr John Hall, ein einstiger Mitarbeiter Robert Stephensons, zuletzt technischer Leiter der Locomotivfabrik Mafifei in München, als Director berufen und durch diesen, um den Locomotivbau hochverdienten Ingenieur eine Grundlage geschaffen, auf welcher sich später die Fabrik zu einer der grössten und angesehensten Unternehmungen ihrer Art gestalten konnte. Nach seiner Idee wurden jene Locomotiven gebaut, welche in der Construction derart eingerichtet waren, dass sie auf der Normalspurweite laufend, an der Grenze für die grössere, russische Spurweite umgestaltet werden konnten.

Die Entwicklung des österreichischen Eisenbahnnetzes hatte allmählich erhebliche Schritte nach vorwärts gemacht. Die Elisabeth-Westbahn war concessionirt worden und gleichzeitig die Kaiser Franz Josef-Orientbahn, aus welcher später die ungarischen Linien der Südbahngesellschaft gebildet wurden. Der Ausbau der galizischen Bahnen endlich war aus den Händen des Staates an die Gesellschaft der Carl Ludwig-Bahn übergegangen. Diese Umstände wirkten für die nächste Zeit auf eine wesentlich erhöhte Thätigkeit dieser Fabrik ein.

Hall trat schon nach ungefähr zweijähriger Thätigkeit wieder aus dem Verbände der Wr.-Neustädter Loco­motivfabrik; an seine Stelle wurde dann der bis dahin bei G. Sigl in Wien thätig gewesene Ingenieur Carl

Die Gross-Industrie. III. 5

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