Die in Canada angewandten Werkzeuge und Vorrichtungen waren jedoch in Galizien nicht ohneweiters zu gebrauchen. Die geologischen Verhältnisse daselbst sind nämlich ganz andere als in den amerikanischen Naphta- districten. In Canada gelangt man schon in der Tiefe von ca. 200 1 n an die Naphtaquelle, die Lagerungen sind da­selbst horizontal, die überlagernden Schichten von einer relativ geringen Härte. Anders ist es in Galizien. Dort wird die Rohölschichte erst in den Tiefen von 350800 m erreicht, die überlagernden Schichten sind theils hart, theils wieder ausserordentlich weich, die Lagerung ist ungleichmässig, es finden sieh häufig steile und Sturz­schichten.

Diesem Unterschiede in den natürlichen Verhältnissen entsprechend, musste auch eine Anpassung der cana- dischen Werksvorrichtungen erfolgen, um diese für die Erdölgewinnung in Galizien verwendbar zu machen.

Kasimir Lipinski hatte Gelegenheit, sich mit dieser Frage an Ort und Stelle zu beschäftigen. Es gelang ihm, durch zweckmässige Aenderungen, so durch richtige Normirung der Grösse der Bohrwerkzeuge, der Gewinde der Bohrer, Schwertstangen, Bohrstangen und Rutschscheeren etc. die canadischen Instrumente für den heimi­schen Gebrauch geeignet zu machen.

Die Lipinskische Fabrik war für die Erzeugung dieser Geräthe so maassgebend, dass die dort üblichen Bezeichnungen derselben als technische Nomenclatur sowohl in der polnischen, wie auch in der deutschen Sprache Eingang fanden. Die Leistungen der Fabrik auf diesem Gebiete fanden in den competenten Kreisen ungetheilten Beifall; und das Etablissement verstand es auch, seine Productionsfähigkeit der raschen Entwicklung der Naphta- Industrie gemäss zu erweitern.

Während dieser Zeit schied der Compagnon des Herrn Kasimir Lipinski, Herr Schenk, aus Gründen pri­vater Natur aus der Firma, deren alleiniger Besitz jetzt auf Ersteren überging.

Ein wichtiger Abschnitt im Werdegang der Lipinskischen Unternehmung beginnt mit dem Jahre 1892. Bis dahin hatte sich die Production noch immer in den schon oben angedeuteten Grenzen bewegt; jetzt wird dem Eta­blissement ein Fabricationszweig angegliedert, dessen Cultivirung im hohen Grade zur Erlangung der heutigen Bedeutung beigetragen hat, nämlich der Waggonbau. Zu diesem Schritte hatte sich Kasimir Lipinski durch die damaligen Verhältnisse im Eisenbahnwesen veranlasst gesehen. Der Personen- und Güterverkehr war im stän­digen Steigen begriffen und machte so eine ausgiebige Vermehrung der Fahrbetriebsmittel erforderlich, der Bau neuer Bahnen stand in unmittelbarer Aussicht, namentlich sollte Galizien eine Ergänzung seines Netzes erfahren, kurz, alle Umstände lagen vor, welche die Aufnahme des Waggonbaues als vortheilhaft erscheinen Hessen. Die seinerzeit bestandene Generaldirection der k. k. österreichischen Staatsbahnen erkannte die Zweckmässigkeit und den Nutzen der Begründung einer Waggonfabrik für Galizien, welches dazumal schon ein Eisenbahnnetz in einer Ausdehnung von 1400 km hatte, und unterstützte werkthätig die Intentionen der Fabriksleitung, indem sie gleich in der ersten Zeit probeweise Güterwaggons bestellte.

Trotzdem damals die für den Waggonbau bestimmten Werkstätten noch nicht fertiggestellt und die Arbeiten in nur nothdürftig adaptirten Räumen durchgeführt worden waren, fiel der Bau zur vollen Zufriedenheit der Ge­neraldirection der k. k. Staatsbahnen aus, welche die Waggons ohne jeden Anstand übernahm und mit Rücksicht darauf der Fabrik die Lieferung weiterer 50 gedeckter Güterwagen übertrug.

Für die Ausführung dieses grossen Auftrages waren die zu Gebote stehenden Fabriksräumlichkeiten ganz und gar unzureichend, und auch eine entsprechende Erweiterung und Ausgestaltung derselben war mit Rücksicht auf die örtliche Lage nicht zweckmässig; aus diesem Grunde entschloss sich Kasimir Lipinski, die Reparaturwerk­stätte der k. k. Staatsbahnen in Zagörz, welche ausser Betrieb gesetzt war, in Pacht zu nehmen und für den Waggon­bau einzurichten. Die Arbeit wurde nunmehr in der Weise eingetheilt, dass die Verfertigung der Eisen- und übrigen Metallbestandtheile in der Sanoker Fabrik vor sich ging, worauf dieselben nach Zagörz gebracht wurden, wo sich die Tischlerei- und Montirungswerkstätten befanden, in denen die Waggons fertiggestellt wurden. So wurde auch die zweite Waggonbestellung ausgeführt, welche sich nicht minder als die erste den Beifall der Uebernahmsorgane erwarb. Die Folge davon war, dass der Fabrik weitere, grössere Bestellungen zufielen.

Als im Jahre 1894 in Lemberg die allgemeine galizische Landesausstellung abgehalten wurde, konnte sich das Lipinskische Etablissement sowohl in der Waggon- wie in der Bohrwerkzeugabtheilung würdig repräsentiren. In der ersteren gelangten zur Exposition eine Spirituscisterne und vier Gütenvagen, in der letzteren die complete Einrichtung eines Bohrrighs. Mit diesem wurde unter Mitwirkung der Fabriksleitung eine Bohrung bis 401 m ge­macht; dieselbe hatte einen praktischen Zweck: bis dahin war nämlich Lemberg ohne Quelhvasser, und es sollte versucht werden, ein solches aufzufinden.

Während der Ausstellung genoss Herr Kasimir Lipihski zweimal die hohe Auszeichnung einer Ansprache von Seiten Sr. Majestät des Kaisers, ebenso wurde demselben die hohe Ehre zu Theil, Ihren kaiserlichen Hoheiten den Herren Erzherzogen Carl Ludwig und Leopold Salvator vorgestellt zu werden.

Hier sei auch davon Erwähnung gethan, dass Herrn Kasimir Lipinski im Ausstellungsjahre von Sr. Majestät dem Kaiser für seine erspriessliche Wirksamkeit als Industrieller das Ritterkreuz des Franz Josef-Ordens ver­liehen wurde.

Inzwischen hatte das Etablissement einen derartigen Umfang angenommen, dass es als Einzelunternehmung zu schwer zu leiten war und es empfahl sich, dasselbe in eine Actiengesellschaft umzuwandeln. Dieser schon früher ins Auge gefasste Gedanke fand gleichfalls im Jahre 1894 Verwirklichung und zwar unter hervorragender Mitwirkung der Galizischen Landesbank und namentlich der Herren Dr. Alfred v. Zgörski und Dr. Wenzel v. Domaszewski.

61