DIE ÖSTERREICHISCHEN INDUSTRIELLEN ANLAGEN

DER

PRIVILEGIRTEN OESTERRE ICH ISCH-UNG ARISCH EN STAATS-EISENBAHN-GESELLSCHAFT.

WIEN.

I. K. k. landesbef. Maschinenfabrik der priv. österr.-ungar. Staats-Eisenbahn-Gesellschaft

in Wien.

ie Maschinenfabrik der priv. österr.-ungar. Staats-Eisenbahn-Gesellschaft in Wien, nächst dem Staats­bahnhofe, ist nicht nur die älteste Locomotivfabrik Oesterreichs, sondern auch die älteste Maschinen­fabrik Wiens und eine der ältesten der Monarchie. Der rapide Aufschwung der Maschinen-Industrie gieng naturgemäss Hand in Hand mit der Entwicklung des Transportwesens durch die Eisenbahnen, da diese einerseits für ihren eigenen Ausbau bestehende Industrien zum Emporschnellen zwangen und ganz neue schufen, anderseits durch Verbilligung der Transporte fremde Industriezweige in ganz ungeahnter Weise unterstützten. Es ist daher begreiflich, dass in dem Entwicklungsgänge der Locomotivfabrik der Staats-Eisen­bahn-Gesellschaft sich die Geschichte der Eisenbahnen, speciell des Locomotivbaues, in Oesterreich wiederspiegelt.

Die Maschinenfabrik wurde i83g von der Wien-Raaber Eisenbahn-Gesellschaft unter der Leitung ihres Bau- und Betriebsdirectors Herrn M. von Schönerer als Reparaturwerkstätte gegründet und im Beisein Sr. k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Johann 1840 in Betrieb gesetzt. Aus dem Mutterlande des Ma­schinenbaues, von der weltberühmten englischen Firma W. Fairbairn in Leeds, kam fast die ganze erste maschi­nelle Einrichtung einschliesslich der Transmissionen in die Fabrik und zu ihrer Installation ein junger englischer Ingenieur, der die Pläne und Einrichtungen entworfen hatte, John Haswell, dem auch sofort die Leitung der neuen Fabrik übertragen wurde. Die ursprünglich zu Reparaturzwecken erbauten Werkstättenräume wurden sehr bald zur Neuherstellung von Locomotiven verwendet, und der genannte ingenieuse Director der Fabrik, der bis zum Jahre 1882, also durch mehr als 40 Jahre derselben Vorstand, nahm sehr regen, vorwiegend schöpferischen Antheil nicht nur an ihrer, sondern auch an der Entwicklung des Locomotivbaues überhaupt. Die unter diesen Verhältnissen auf blühende Fabrik ist daher auch sehr reich an Erstlingsfrüchten mechanischen Schaffens, an Priori­täten in eisenindustriellen Processen, Constructionen, Erfindungen und Neuherstellungen, die bahnbrechend wirkten und deren Schöpfer, sowie der Maschinenfabrik ein Gedenkblatt in der Geschichte der heimischen Eisen-Industrie sichern. Gleich in dem ersten Jahre des Bestandes wurde eine Eisengiesserei, die erste Wiens, errichtet und da­selbst der erste Versuch gemacht, statt mit Holzkohle, mit Gascoaks zu schmelzen. Die ersten Schalengussräder entstammen dieser Fabrik. Die schweren Schmiedebestandtheile der Locomotiven nöthigten ganz besonders die Grobschmiede zur raschen Entwicklung, in welcher Hinsicht der Fabrik durch die von Haswell construirte, auf der Londoner Weltausstellung 1862 exponirte hydraulische Presse von 700.000 kg, welcher eine noch stärkere für 1,200.000 kg Druck folgte, auf viele Jahre eine dominirende Stellung im Locomotivbaue gesichert wurde. Eine rationelle, solide und billige Fabrication von Achslagergehäusen, Kreuzköpfen, Kolben etc., besonders aber Loco- motivradsternen wurde eine Specialität dieser Einführung und wurde erst in neuester Zeit durch die Stahlguss- fabrication auf andere Gebiete gedrängt. Eine weitere Specialität der Fabrik, die sich in den ersten Decennien auch sehr ausgiebig mit allgemeinem Maschinenbau, Dampfmaschinen, Pressen, Wasserstationen, Pumpen, Krahnen etc. beschäftigte, waren bis heute in vielen Exemplaren functionirende, weil fast unverwüstliche «Haswell»- (recte Condie-) Hämmer, sowie schwere Schmiedearbeiten, unter anderen die zur Erneuerung des Thurmhelmes an dem St. Stefansdome nöthigen, für die damalige Zeit kolossalen Schmiedebestandtheile.

Durch viele Jahre wurden die besten und bewährtesten Arbeitsmaschinen theils von England bezogen, theils speciellem Bedürfnisse entsprechend in Einzelausführung in eigener Fabrik construirt und ausgeführt, so zwar, dass erst in den letzten anderthalb Decennien die hochentwickelte Werkzeugmaschinen-Industrie im Stande war, jene arbeitskräftigen, äusserst soliden Maschinen durch neuere, leistungsfähigere, mit moderner Präcision gearbeitete und arbeitende zu verdrängen. Die ersten Nachrichten aus England über hydraulische Kesselnietung fanden Wiederhall in der mit Hydraulik gut vertrauten Maschinenfabrik, aber nicht die englische, sondern eine auf heimat­lichem Boden ersonnene Construction einer hydraulischen Nietinstallation wurde als erste in Oesterreich in der Kesselschmiede der Fabrik schon im Jahre 1878 ausgeführt.

Viel zahlreicher als diese Erstlingseinrichtungen waren die Original- und Primärausführungen an Loco­motiven und deren Details. Die erste Locomotive der Fabrik «Wien» wmrde im Jahre 1840 und in demselben Jahre noch weitere drei Stück nach amerikanischem Muster als erste Oesterreichs ausgeführt. Auch die ersten Personen- und Postwagen Oesterreichs entstammen dieser Fabrik. Die Stephensonsche Coulissensteuerung war als erste in Oesterreich an der in der Maschinenfabrik für die Wien-Gloggnitzer Bahn im Jahre 1844 gebauten Loco-