Die wirthschaftliche Krise im Jahre 1873 hatte eine grosse Stagnation im geschäftlichen Verkehre zur Folge. Ein Rückschritt in der Arbeit selbst jedoch war von da ab nicht mehr zu constatiren. Zum Ruhme des Gewerbes sei hier gesagt, dass trotz der damaligen traurigen Zeitverhältnisse die technische Vervollkommnung, die stilistische Durchbildung eine stetig steigende war. Vornehmlich blieb es aller­dings bei der Cultivirung der Renaissance; man wusste mit vielem Geschicke durch die Profilirung des Zimmergrundrisses, durch Estraden, Erker und Bailustraden die Wohnräume anheimelnd und gemüthlich zu gestalten.

Erst in den Achtzigerjahren hielten die französischen Stile Louis XVI. und Louis XV. ihren sieg­reichen Einzug in Wien. Sie brachten abermals die für die Prosperität des Kunstgewerbes so nothwendige völlige Umwandlung in der Geschmacksrichtung und zwar die Gewerbe in ihrer Ausbildung fördernd mit sich. Mehr und mehr sah man die matten Farben der Renaissance schwinden, um den hellen lichten des französischen Stiles Platz zu machen. Das gedämpfte Licht, welches bis dahin die Wohnräume so gemüthlich machte, verschwand, die Räume wurden hell und luftig; ungehindert fanden die Sonnenstrahlen nunmehr in dieselben Eingang. An die Stelle der schweren massigen Möbel traten leichte, graziöse Formen. Leicht war dieser Uebergang für die Wiener Wohnungseinrichtungskünstler nicht. Während sie bisher gewohnt waren, mit Lineal und Zirkel zu hantiren, trat jetzt das freie Ornament die Herrschaft an, welches leicht zu Ueberladungen reizt. Ein schönes Stück Arbeit musste vollbracht werden, und erst die nach­rückenden jüngeren Kräfte lösten mit mehr Geschick die schwere Hand, welche zuerst die Renaissance handhaben musste, ab. Leider wollte das Museum für Kunst und Industrie, welches vordem so segens­reich an der Bildung der Kunstgewerbetreibenden mitgewirkt hatte, in den von dem Publicum stark verlangten neuen Stilarten die Producenten nur ungerne unterstützen. Trotzdem gelang es den heimischen Industriellen, auch in den neuen Stilarten eine Vollkommenheit zu erlangen, welche ihnen neben Frankreich den ersten Platz sicherte. Es war eine schwere Aufgabe, welche da gelöst werden musste, denn die Schwierigkeiten zur Erzeugung dieser Möbel lagen nicht nur in der Anfertigung von Zeichnungen, sondern es fehlten auch alle in Betracht kommenden nöthigen Behelfe, so die Bronzen für die Verzierung der Möbel, die reichen Stoffe u. a. m. Was die Bronzen betrifft, so haben sich die Bronzewaarenfabrikanten deren Erzeugung bald mit viel Geschick bemächtigt.

Anders steht es mit der Fabrication von Stoffen. Diese genügt leider bis heute noch nicht den Ansprüchen, welche an sie gestellt werden müssen, und kann mit der fremdländischen, namentlich mit der französischen Concurrenz den Wettbewerb bisher nicht aufnehmen. Deshalb waren und sind die hei­mischen Producenten gezwungen, die in dieses Gebiet gehörigen Artikel aus dem Auslande zu beziehen.

Eine Branche der Möbel-Industrie, die sich unter der Herrschaft der Renaissance nur schwer fort­fristete, wurde durch das siegreiche Durchbrechen der französischen Stilarten überaus gefördert, nämlich das Vergoldergewerbe. Im Gegensätze zur Renaissance, die nur in aussergewöhnlichen Fällen Vergoldungen zulässt, verlangen die französischen Stilarten in den vornehmeren Wohnräumen reichere Vergoldung.

In der jüngsten Zeit ringen auf dem Gebiete der Möbel-Industrie zwei neue Richtungen nach Geltung: der englische Stil und das secessionistische Genre. Auf der Jubiläumsausstellung 1898 bot sich zum erstenmal Gelegenheit, diesen modernen Bestrebungen entsprechende Arbeiten in grösserem Umfange zu sehen. Ob die jungen Strömungen das Kunstgewerbe mit sich reissen werden, oder ob dasselbe auf dem bisher mit Erfolg betretenen Pfade seinen Weg zur weiteren Entwicklung fortsetzen wird, diese Frage zu entscheiden, bleibe der Zukunft anheimgestellt.

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