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Die Arbeiterin im Kampf ums Dasein / von Adelheid Popp
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liche Schikanen aus Arbeit und Brot getrieben zu werden! Wahrlich, es ist leicht, in eleganten Salons auf weichen Pfühlen über die Un- sittlichkeit anderer den Stab zu breche».

Die Proletariern,, die oft ihr einziges, ihren guten Ruf, ihre Anständigkeit opfert, um ihrer notleidenden kranken Mutter Medikamente zu verschaffen, ist weit bewunderungswürdiger als das Mädchen aus .gutem Haufe', welches heranwächst, bewacht von einer sorgenden Dienerschaft, geleitet von einer Gouvernante, beschützt bis zu dem Momente, ivo sie in die eheliche Versorgungsanstalt gegeben wird. Es ist sehr leicht, anständig und moralisch zu bleiben, wenn die Versuchung mit peinlicher Sorgfalt ferngehalten wird. An die Proletarier,» aber tritt die Versuchung mit jedem Lohntag neuerlich heran; kann es Wunder nehmen, wenn das Arbeitermädchen, das am Samstag, nach sechs Tagen mühseliger gcsundheitsangreisender Arbeit, einen Lohn von oft nur «> Kr. bekommt, sich verzweifelnd die Frage vorlegt, ob es nicht besser sei, der Tugend, welche nur Not und Entbehrung einbringt, den Rücken zu kehren und steucr- zahlende, also staatlich anerkannte Priestern, der käuflichen Liebe zu werden? lind wer ist mehr zu verurteilen, das Mädchen, das, vorn Hunger getrieben, seinen Leib verkauft, oder der Ausbeuter, welcher gewissenlos genug ist, den Erzeugerinnen seines Mehrwertes, den­jenigen, welche ihn, Reichtum erarbeiten, den zum Leben absolut notwendigen Lohn vorzuenthalten und sie mit einer Bettelsumine ab­zufertigen und damit bewußt dem Untergang preiszugeben? Solch niedrige Löhne kommen nicht wie wir dargelegt haben nur vereinzelt vor. Entbehrungsreich ist das Dasein der Arbeiterin, nur erhellt von dem einzigen Hoffnungsstrahl, daß es vielleicht, wenn sie sich mit einem Arbeiter verbindet, besser und erträglicher werde. Wir sehen jedoch, daß nicht nur Mädchen aus den sogenannten .guten Häusern' immer seltener Gelegenheit haben, ihren .natürlichen Beruf' als Gattin und Mutter auszuüben, auch die Proletarierinnen heiraten immer seltener. Das Eintreten der Frau in das industrielle Leben hat den Männern große Konkurrenz gebracht; anfangs wurde die Frauenarbeit nur als Hilfe zum Verdienst des Familienhauptes, des Galten und Vaters, betrachtet. Die Schädigung, die den arbeitenden Frauen und Mädchen zugefügt wird dadurch, daß sie schlechter bezahlt werden, rächt sich an den männlichen Arbeitern. Der Unternehmer ,st immer gierig nach neuem Gewinn; mit dem Blick des Ausbeuters hat er entdeckt, daß die weibliche Arbeitskraft sich vorzüglich als Lohndrückern, gegen die Männer benützen läßt. Die Zahl der weiblichen Arbeitshände wurde und wird noch ,m,ner großer Die Maschine, die Vervoll­kommnung der Technik ermöglicht es, daß an die Plätze, welche früher Männer eingenommen haben, Arbeiterinnen und jugendliche Hilfs­arbeiter Kinder treten. Die Lebensmittelpreise und die Wohnungs- z'Nse sind im steten Steigen begriffen. Es ist begreiflich, daß viele Arbeiter das Eheschließen vermeiden, da ja der Mann weiß. daß er mit seinem kargen Lohn die Pflichten, die ihm die heutige Gesellschaft gegen seine Familie auferlegt, nicht erfüllen