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(Dr. Osner übernimmt den Vorsitz.)
Expertin Nr. 112 (über Befragen des Vorsitzenden): Ich bin in einem Großbetrieb, in welchem 350 Personen, darunter über 300 Frauen, beschäftigt sind. Ich bin bei der Appretur in der Spinnerei beschäftigt. Da müssen wir die nasse Waare aus lange Rahmen spannen, und dann wird der Rahmen ausgezogen. Das ist sehr anstrengend, weil die Rahmen sehr schwer sind. Wir müssen in einer Stunde sechs Rahmen machen. Auch herrscht eine große Hitze in dem Local. Ich bin 13 bis 14 Jahre in dem Betriebe; früher war ich bei der Wäscherei. Wir haben jetzt ein ganzes Jahr lang immer zu thun gehabt. Es kommt oft vor, daß von Ende August bis Weihnachten sehr wenig zu thun ist. Da werden die Arbeiterinnen nicht entlassen, sondern müssen einige Stunden, oft auch zwei Tage lang aussetzen. In unserem Betriebe sind Motoren, aber unsere Arbeit wird mit der Hand verrichtet. Nach Hause wird keine Arbeit gegeben. Es ist bei uns keine Lehrzeit eingeführt, sondern wir Arbeiterinnen müssen die neu eintretenden Mädchen, welche anch nicht gleich den vollen Lohn bekommen, erst abrichten. Die Arbeitsvermittlung erfolgt bei uns meist durch die Gewerkschaft. Unsere Arbeitszeit ist von 7 Uhr Früh bis '.27 Uhr Abends, und jetzt machen wir schon seit über einem Jahre eine Stunde Ueberzeit, nämlich bis '-48 Uhr. Wir haben zu Mittag eine Stunde und Vor- und Nachmittags je eine Viertelstunde Pause. Am Sonntag wird nie gearbeitet; wenn wir an Feiertagen bis 12 Uhr arbeiten, werden uns drei Vierteltage, und wenn wir bis 3 Uhr arbeiten, der ganze Tag bezahlt. Wir haben dreitägige Kündigungsfrist. Es kann jeden Tag gekündigt werden. Nur wenn Eine einen Diebstahl oder dergl. begeht, kann sie nach der Fabriksordnung sofort entlassen werden. Ich arbeite im Stunden- lohn und verdiene fl. 5'70. Die neu eintretenden Arbeiterinnen bekommen im Ansang 68 kr. täglich, später 75 kr. Ich bekomme 05 kr.; für Ueber- stnnden bekomme ich 14 kr., die Anderen nur von 10 kr. aufwärts. Bei uns im Betriebe sind nur etwa 8 bis 13 Männer. Ich mit meinen 05 kr. stehe unter den Frauen am besten. Abzüge und Strafen werden nicht gemacht, auch nicht für das Zuspätkommen. Da wird höchstens ein bischen gebrummt. Auch wenn die Arbeit verdorben wird, erfolgen keine Abzüge.
Dr. Rauchberg: Was machen die Männer in Ihrer Fabrik? — Exp. Nr. 112: Die sind in der Wäscherei und Färberei.
Dr. Rauchberg: Wie viel haben Sie früher bekommen? — Expertin Nr. 112: Früher sind wir schlechter bezahlt worden. Erst seit dem Strike ist es besser. Früher sind Anfängerinnen oft drei Vierteljahre bei einem Lohn von nur 63 kr. geblieben, und der höchste Lohn war 88 kr. Außer mir sind in der Fabrik 25 Mädchen, die 05 kr. verdienen. Die meisten haben 80 bis 85 kr. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wenn wir aussetzen müssen, so wird uns das nach den Stunden abgerechnet. Es wird uns das nicht früher gesagt; wir merken das schon selber, wenn die Arbeit schlechter geht.
Herrdegen: Wird bei Ihnen weiße und färbige Waare gemacht? — Exp. Nr. 112: Ja, beides.
Herrdegen: Wie breit sind die Stoffe? — Exp. Nr. 112: Wir haben schmale, die ^ breit sind, und auch solche, die und "/), breit sind. Da müssen wir sehr weit ausgreifen. Die Räume werden, weil das Local gleichzeitig eine Trockenstube ist, auch im Sommer geheizt. In den Vocalen sind Thermometer, und da haben wir oft 30 bis 34 Grad. Es gibt aber auch Vocale, iu denen 48 bis 50 Grad sind.
Vorsitzender: Ist das Celsius oder Rvaumur? — Exp. Nr. 112 : Das weiß ich nicht.
Vorsitzender: Eine Hitze von 48 bis 50 Grad ist, selbst wenn das Celsiusgrade sind, wohl kaum für den menschlichen Organismus erträglich. Das wird vielleicht ein Irrthum sein? — Exp. Nr. 112: Erst heute hat mir das ein Mädchen gesagt, und auch früher habe ich schon oft erfahren,
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