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Die alleinstehende mittellose, gebildete Frau hat selbst-verständlich ihre bedeutsame Lebensgeschichte hinter sich,die Zeit, in der sie zur Bildung, zur Mittellosigkeit und end-lich zum Alleinstehen gelangte. Jugend, Schönheit, einespätere „gute Versorgung“ an der Seite eines Mannes in an-gesehener, vielleicht sogar glänzender Lebensstellung, Be-hagen und bescheidener Luxus, die mit dieser Lebensstellungim Zusammenhänge standen und bis zu dem Tode des Gattenandauerten, bilden den Inhalt vieler solcher Lebensgeschichten,denen wieder andere entgegenstehen, in welchen nichts vonGlanz, von Behagen, von schimmernder Erinnerung zu findenist, und in denen Arbeit und Mühe, Angst und Sorge, winzigeFreuden und ungezählte zertrümmerte und wieder neu erfaßte,nie erfüllte Hoffnungen alle Kapitel vom Anfänge bis zumEnde ausfüllen. Erst kommen die Entbehrungen im Eltern-hause, das Sparen, Darben, Tüpfeln, das Erdrücken und Ver-schweigen aller Wünsche, die tausend kleinen Enttäuschungen,über die das elastische Kindergemüt sich so leicht hinüber-schwingt; später kommt das Sorgen und Entbehren an derSeite des Gatten, das unausgesetzte Ersinnen, Denken undStreben nach dem nächsten Ziele, das Arbeiten ohne Rastund Ruhe, das Hoffen auf den nächsten Tag, die stumm ge-tragene Bangigkeit, das Lächeln auf den Lippen und dasZucken im Herzen — dies alles kommt und geht und fülltein Leben aus, oft ein Leben voll Liebe und Glück, bis dasSchicksal den letzten Schlag führt und die Frau allein übrigläßt, um den Rest ihrer Lebensaufgabe einsam zu lösen.
Und wie sieht diese Aufgabe aus?
Wer die Höhe der Summe kennt, welche Tausendenvon verwitweten Frauen und verwaisten Mädchen als einzigerjährlicher Lebensunterhalt nach dem Tode der Gatten undVäter geboten ist, wer diese Summe durch die Zahl von365 Tagen zu teilen versucht und dann den so erzieltenQuotienten auf Wohnung, Beheizung, Beleuchtung, auf Kleiderund Wäsche repartiert, der wird vielleicht mit Schauderngewahr werden, wie viel auf das „tägliche Brot“ entfällt, dasja nicht zu entbehren ist. In den meisten Fällen wird diewirtschaftliche Aufgabe, welche die Beamtens- oder Offiziers-witwe zu erfüllen hat, eben nur durch den unglaublichstenAbbruch am täglichen Brote gelöst, da diese Frauen vorallem den Anstand zu retten haben, wie sie meinen und wiesie den Schein nennen, den sie nach außen zu wahren be-müht sind. Dürftigkeit zeigen, die still getragene Not, dasLeid, das am Herzen nagt, kundgeben, das verträgt sich nichtmit der Standesehre, mit der Ehre, welche die Frau für denverstorbenen Gatten oder Vater, für die Familie zu wahrenhat, für Alle, denen sie einst angehörte.