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großen Welt verflacht auch der kräftigste Geist, und das Streben nach Tand und Aeußerlichkeit gewinnt die Oberhand. Ruhm und Ehre des Hauses werden nur in dem Umgänge mit Reicheren, Angeseheneren, wohl auch Adeligen gesucht, es gehört zum guten Ton, ihnen in Allem zu folgen, und man frägt sich nicht, ob nicht der Wohlstand der Familie und die geistige Kraft der Kinder dabei Schaden nehmen, ob die Kinder, welche an Tausend Bedürfnisse gewöhnt werden, und deren schassendes und erhaltendes Talent sich noch nicht erprobt hat, nicht traurigem Proletariat entgegengeführt werden.

Ich sage nicht, daß es nicht viele ehrenwerthe Ausnahmen gibt, daß unsere Gesellschaft nicht viele Frauen von ehrlichem, hohem Wollen und Wirken hat. Das Wirken eben dieses Vereines gibt von dem ernsten Streben vieler Frauen Zeugniß. Aber die große Zahl der Frauen aus den wohlhabenden Ständen lebt, wie ich es geschildert habe, das Leben einer Sultanin. Und um solchen Wirkens willen sollen die Frauen keiner Arbeit pflegen?

Ich bin freilich weit davon entfernt, die oftmals schlechte Verwer­thung des weiblichen Pfundes blos auf Rechnung der Frauen zu setzen, denn Druck, Unfreiheit und mangelhafte Erziehung haben es verschuldet, daß Viele davon den Sinn vom Würdigen und Ernsten so sehr abgewendet haben, daß sie selbst da nicht mehr wirken mögen, wo sie wirken könnten, und unseres Dichters Worte passen vollkommen auf uns:Im engen Kreis verengert sich der Sinn, es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken!"

Man wendet ferner ein, das Leben in der Öffentlichkeit beraube die Frau ihrer herrlichsten Reize, ihrer Reinheit und Unschuld.

Ich glaube dagegen, daß Unthätigkeit, mit dem Lesen frivoler Ro­mane verbunden, die Frau weit mehr entsittlichet, als der Verkehr mit Menschen, welche ihr nur nahe kommen, um Zwecke des Berufes zu erfüllen. Man rühmt mit Recht die Reinheit unserer Mädchen, welche inmitten der Entsittlichung unberührt davon bleiben, und fürchtet, daß sie diesen Werth im Leben verlieren werden. Ich will nun nicht behaupten, daß nicht das eine oder andere Mädchen unter dem freieren Leben leiden würde, die Gesammtheit würde aber gewiß keinen Schaden nehmen. Ich möchte sogar im Gegentheil den Grundsatz aufstellen, daß die Sittlichkeit durch die größere Freiheit der Mädchen, einen Aufschwung nehmen müßte, da die Mädchen durch die Frage der Stellung oder der Existenz weniger zu den entsittlichenden Ehen ohne Neigung gezwungen würden, und andererseits besser geeignet wären, zu entscheiden, ob dieser oder jener