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Kurz nachher hielt ich meine erste öffentliche Rede. Es war an einem Sonntag Vormittag in einer Bran- chenversammlung. Ich sagte niemandem, wo ich hinging und da ich auch sonst öfter am Sonntag Vormittag allein fortging, um eine Galerie oder ein Museum zu besuchen, so fiel mein Fortgehen nicht auf. Die Versammlung war von dreihundert Männern und von neun Frauen besucht, wie ich nachher aus dem Fachblatt erfuhr. Da in der betreffenden Branche die Frauenarbeit eine bedeutende Rolle zu spielen be­gann und die Männer das Angebot der billigeren weib­lichen Arbeitskräfte schon spürten, so sollte in der Ver­sammlung die Bedeutung der gewerkschaftlichen Or­ganisation besprochen werden. Dazu war eine besondere Agitation unter den Arbeiterinnen entfaltet worden und obwohl Hunderte in einer einzigen Fabrik arbeite­ten, waren im ganzen neun Frauen gekommen. Als der Einberufet das mitteilte und der Referent darauf Bezug nahm, fühlte ich große Scham über die Gleich­gültigkeit meiner Geschlechtsgenossinnen. Ich nahm alle Ausführungen fast persönlich und fühlte mich davon getroffen. Der Redner schilderte das Wesen der Frauenarbeit und bezeichnete die Rückständigkeit, die Bedürfnislosigkeit und die Zufriedenheit der Ar­beiterinnen als Verbrechen, die alle anderen Übel nach sich ziehen. Auch über die Frauenfrage im all­gemeinen sprach er, und von ihm hörte ich zum erstenmal August Bebels Buch:Die Frau und der Sozialismus" erwähnen.

Als der Referent geschlossen hatte, forderte der