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schätzend:So Alte bringst du daher." In ihren Augen handelte es sich bei jedem Manne, der kam, um einen Freier für mich, und da es ihr seligster Wunsch war, mich verheiratet zu sehen, so wurde jeder daraufhin betrachtet. Unsere beiden Besucher, von denen der eine ein Greis war, während der andere mein Vater hätte sein können, schienen ihr nicht die rechte Eignung zum Gatten ihrer jungen Tochter zu haben.

Meine Mutter änderte sich nicht mehr, im Gegen­teil, je älter sie wurde, um so feindlicher stellte sie sich mir entgegen, ich aber überwand auch das. Schließlich fand ich mich mit dem Gedanken ab, daß es ein vollkommenes Glück nicht gäbe und der Sozialismus hatte mir so viel gegeben, daß gegen diese Fülle von Befriedigung und Freude alles andere klein und nichtig erschien. Einer großen Sache aus Begeisterung dienen, gibt soviel innere Freude und verleiht dem Leben einen so hohen Wert, daß man viel ertragen kann, ohne mutlos zu werden. Das lernte ich an mir erkennen. Wie hatte mich der Sozialismus verwandelt! Und je mehr ich ihn verstand, je bewußter ich Sozialistin wurde, um so freier fühlte ich mich allen Anfeindungen gegenüber. Mein Glaube an den Sozialismus war felsenfest ge­worden und nie kam ich in Versuchung, auch nur für einen Augenblick wankend zu werden. Unerschütter­lich wurde mein Vertrauen, daß der schöne Spruch Georg Lserweghs, der so oft bei Arbeiterfesten die Wände schmückt, durch die sieghafte Kraft des proleta­rischen Befreiungskampfes verwirklicht werden wird. Er lautet: