Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
50
Einzelbild herunterladen

Herrdegen: Maschinen mit Handbetrieb gibt es nicht? Experte Meizr: Nein. Da hat man einen Schneebesen aus Draht.

Exp. Schindler: Es wurde ein Betrieb wegen der vielen Er­krankungen an Tuberculose angeführt. Ich weise da auf den Bericht vom Jahre 1895 hin, wonach 6 weibliche Mitglieder an Tuberculose gestorben sind, wovon 2 diesem Betriebe angehörten, während die anderen 4 auf einen anderen Betrieb entfielen. Das ist ein großer Betrieb, wo nur Oblaten für kirchliche Zwecke, Medicinal-Oblaten, Waffeln rc. erzeugt werden. Bei einem Personalstand von 57 Personen befindet sich dort nur ein einziger männlicher Hilfsarbeiter. Alle anderen sind weibliche Personen, und zwar vorzugsweise Hilssar Leiterinnen im Alter von 15 Jahren. Nur sehr wenige sind dort im Alter von 30 bis 35 Jahren. Sie werden durch die Arbeit, insbesondere bei den Waffeleisen so hergenommen, daß sie schon nach kurzer Zeit der Krankencaffe zur Last fallen. Wir haben im vorigen Herbst 4 oder 5 Mit­glieder gehabt, die der Krankencaffe angehörten und durch eine Reihe von Wochen an Krankheiten, die sie sich durch den Zug zugezogen haben, ge­litten haben. Es dürfte sich empfehlen, diesen Verhältnissen einige Auf­merksamkeit zu schenken, damit die Verhältnisse der weiblichen Hilfs- arbeiterinnen einigermaßen verbessert werden.

Vorsitzender: Haben Sie von diesen Verhältnissen nicht an die Gewerbebehörde eine Anzeige erstattet? Exp. Ruczka: Wir haben die Anzeige gemacht. Ich habe aber nicht gehört, daß eine Untersuchung ein­geleitet worden wäre.

Dr. Weißkirchner: Ist Ihnen bekannt, ob der Betrieb behördlich genehmigt wurde? Exp. Ruczka: Das weiß ich nicht.

Dr. Weißkirchner: Es kommt nämlich häufig vor, daß die Be­hörde keine Commission abhält, nachdem der Gewerbeanmelder den Betrieb nicht in der Weise schildert, wie er ihn ausübt. Beim Zuckerbäckergewerbe speciell wird nie eine Commission abgehalten. Es ist auch sehr leicht möglich, daß der Unternehmer die Vorschriften der Gewerbeordnung umgangen hat.

Vorsitzender: Es ist unglaublich, daß bei derartigen Erkrankungs- zifferu und Sterbefällen die Behörde nicht aufmerksam werden sollte. Exp. Schindler: Betreffs eines sehr großen Betriebes möchte ich bemerken, daß die Behandlung der Hilfsarbeiterinnen seitens des Chefs eine anständige ist, während dieselben unter der Behandlung der dort beschäftigten Arbeiter viel zu leiden haben. Es werden ihnen ganz unqualificirbare Ausdrücke an den Kopf geworfen. Die Mädchen find den Arbeitern gegenüber ganz macht­los. Die Löhne in diesen Betrieben dürften sich zwischen fl. 3'50 und 7 bewegen. Es bedarf aber eines Zeitraumes von drei bis vier Jahren, bis Eine auf fl. 6 kommt. Wenn Eine fl. 7 bekommt, muß sie schon Protection haben. Die weitaus größere Zahl der Arbeiterinnen fleht unter dem Durch­schnittslohn von fl. 4. Wenn sie mit fl. 3'50 aufgenommen werden, so dauert es mindestens ein halbes Jahr, bis sie fl. 4 bekommen. Zu Weihnachten müssen die Mädchen oft bis 10, 11 Uhr Nachts arbeiten, dann bekommen sie 5 kr. Sperrgeld und für die Stunde den entsprechenden Theil ihres Lohnes. Sonntagsarbeiten haben nur die Mädchen in bestimmten Abtheilungen, z. B. in der Tortenbäckerei, die anderen sind frei. Das wird ihnen aber abgezogen.

P ernersto rfer: Sie sagen, daß die Arbeiterinnen in diesem Geschäfte durch die Arbeiter zu leiden haben? Das ist der erste Fall, der hier erzählt wird. Ist Ihnen das mitgetheilt worden, oder wissen Sie es aus eigener Erfahrung? Exp. Schindler: Es ist mir von Personen mitgetheilt worden, denen man bestimmt glauben kann. Es sind dies die sogenannten Abtheilungsvorstände, welche es anfangs mit den Mädchen halten, ihnen gewisse Sachen, Butter, Eier u. s. w. zustecken; dadurch ent­stehen dann selbst unter den Mädchen Reibereien. Wagt es Eine, sich gegen