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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Riedl: Haben Sie sie zur Mutter gegeben? Expertin

Dr. Riedl: Wie viel haben Sie für die Kost gezahlt? Exp. Nr. 27: fl. 10 monatlich für alle drei.

Dr. Riedl: Wissen Sie auch, was man den Kindern für dieses Geld geboten hat? Exp. Nr. 27: Das weiß ich nicht. Der Mann war ein Schuster; Noth haben sie keine leiden müssen, aber wenn ein Kind nicht lebensfähig ist, so lebt es halt nicht weiter. (Ueber Befragen.) Ich bin nicht krank, aber mein Mann hat fortwährend Lungen- und Nasenkatarrh. Er ist seit seiner Jugend Schleifer; er hustet immer, schaut zwar nicht schwächlich aus, ist aber nicht gesund. Er ist 32 Jahre alt.

Vorsitzender: Vergönnen Sie sich am Sonntag ein Vergnügen? Exp. Nr. 27: Wir haben alle Beide verdient, und wenn wir kein Kind gehabt haben, so sind wir halt irgendwo hingegangen. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wir stehen Beide in der Organisation und kaufen uns alle Tage dieArbeiter-Zeitung".

Expertin Nr. 28 (über Befragen seitens des Vorsitzenden): Ich bin seit 13 Jahren im Betriebe und kam mit 15 Jahren zu demselben. Ich bin in einem Großbetrieb in Ottakring. Es sind dort 16 Schleifer beschäftigt, 12 männliche und 4 weibliche, im Ganzen sind über 200 Personen im Be­triebe. Wir arbeiten das ganze Jahr; seit September haben wir sehr viel Arbeit. Wir erzeugen Thürklinken, Fensterreiber und dergleichen. Der Betrieb ist ein ausgebildeter Motorenbetrieb. Hausarbeit gibt es nicht, auch Lehr­mädchen nicht. Ich bin in das Geschäft durch Anfragen gekommen.

Dr. Riedl: Wie lange haben Sie gelernt? Exp. Nr. 28: Ich habe die Arbeit abgestaubt, und die anderen Arbeiter haben sie fertig gemacht und geputzt. Ich habe mir bald eine gewisse Fertigkeit erworben. Damals habe ich fl. 3 pro Woche bekommen, nach einem Jahre 50 kr. Zu­lage. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Die Arbeiter sind alle im Accord, Zeitlohn gibt es nicht. Jetzt verdiene ich mir fl. 7, 8, 9, auch 10. Die Männer verdienen sich mehr( die jugendlichen Arbeiter weniger; die Männer haben fl. 15, 16, 17. Unser Betrieb ist einer der größten in Wien. Schmirgel wird an die Arbeiter bei uns nicht verkauft, das kommt vom Herrn. Wieso es kommt, daß dies in anderen Betrieben nicht so ist, weiß ich nicht. Bei uns wird geradeso mit dem Material gearbeitet wie in anderen Betrieben.

Exp. ö: Mir ist bekannt geworden, daß in diesem Betriebe, wenn Jemand ein sogenanntes Tuch braucht, er es nicht bekommt. Bor sechs Jahren war es so. Exp. Nr. 28: Heute ist das nicht. Wir bekommen alle 14 Tage ein Kilo Tuch. Wenn wir nicht auskommen, so müssen wir uns eben darum streiten, daß wir eines bekommen. Der Magazineur hat uns einmal keines geben wollen; da sind wir zum Werkführer gegangen und haben gesagt, daß wir, wenn wir keines bekommen, zum Herrn gehen werden. Daraus wollte er es nicht ankommen lassen, weil er weiß, daß der Herr sagt, es muß uns gegeben werden. Das hat sich nun eingebürgert. Jetzt halten die Aröeiter zusammen, aber früher haben sie sich nicht getraut und haben es selbst gekauft. Von den Arbeitern gehören nur drei der Organisation an. Es ist dort kein großer Wechsel, alle sind schon drei bis vier Jahre dort. Einer ist 12 Jahre dort, Einer sogar 20 Jahre.

Vorsitzender: Müssen die Maschinen nicht geputzt und gereinigt werden? Exp. Nr. 28: Nein, wir haben nur Besen, und wenn wir mit dem Schleifen fertig sind, so kehren wir die Messingspäne zusammen. (Ueber weiteres Befragen des Vorsitzenden.) Nach Hause bekommen wir keine Arbeit. Wir haben eine Fabriksordnung, die Jeder lesen kann. Es steht darin: Wenn Jemand muthwilligerweise eine Maschine oder Material ruinirt, so muß er Strafe zahlen. Bei der Arbeit selbst wird an der Maschine nichts gebrochen.