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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Schleiferei. Der Arzt sagte, die Kinder seien an Mangel an Lebenskraft gestorben.

Vorsitzender: Liegt der Grund hiefür nicht in der schlechten Ernährung? Exp. Nr. 27: Nein, der Arzt hat das der Beschäftigung zugeschrieben. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Die Arbeiter wohnen nicht in der Wohnung der Unternehmer. Ich habe Zimmer und Küche. Mein Mann ist Metallschleifer und hat bis jetzt fl. 15 wöchentlich verdient. Was er jetzt verdienen wird, weiß ich nicht, weil wir Beide vier Wochen im Strike gestanden sind. Jetzt wird er wahrscheinlich nur fl. 10 verdienen und ich statt fl. 7 nur fl. 4'80.

Vorsitzender: Wird Ihnen das nicht vorausgesagt, was Sie ver­dienen ? Exp. Nr. 27: Nein, das erfährt man nur so beiläufig von den Anderen untereinander. Der Herr nimmt Einem einfach das Buch, und fertig.

Baronin Vogelfang: Ist es nur am Anfang so, oder wird es Ihnen später vielleicht gesagt? Exp. Nr. 27: Am Ende der Woche, am Samstag werden wir das erfahren. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Mein Mann ißt in der Werkstätte; ich esse bei meiner Mutter und muß ihn dafür arbeiten helfen.

Vorsitzender: Also außerhalb Ihrer Arbeitszeit "müssen Sie bei Ihrer Mutter arbeiten? Exp. Nr. 27: Ich mark jetzt vier Wochen im Strike, und da habe ich eben der Mutter, die Hausbesorgerin ist, beim Stiegenreinigen u. s. w. geholfen.

Vorsitzender: Waren Sie da schon in der Hoffnung? Expertin Nr. 27: Ja.

Vorsitzender: Kommen Geschenke und andere Unzukömmlichkeiten seitens der Werkführer vor? Exp. Nr. 27: In einem Betriebe, wo ich war, war ein Werkführer, der eine dort beschäftigte Frau zur Geliebten hatte. Beide waren verheiratet. Wenn man der nicht schön gethan hat, so ist man schlecht behandelt worden. Mir hat sie einmal gesagt:Du patscherte Sau, Du wirst hinausgeschmissen!" Sie hat gestohlen, er auch. Als das endlich dem Herrn bekannt wurde, ist sie hinausgeworfen worden. Wir anständigen Arbeiter sind allerdings drin geblieben, aber der Werk- sührer auch, weil der Herr ihn gut brauchen konnte.

Dr. Riedl: Weiß denn Ihr Mann auch nicht, wie viel er bekommt ? Exp. Nr. 27: Nein. Er wird fl. 10 bis 11 bekommen; wenn er sich gualificirt, mehr. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Das jetzige Locale ist ebenerdig. Es ist ein sehr großer Raum mit fünf Fenstern, sehr licht. Es sind 60 Personen darin. Staub ist keiner.

Vorsitzender: Fünf Fenster für 60 Personen? Exp. Nr. 27: Es sind große/dreitheilige Fenster. Für 60 Personen ist allerdings der Raum zu klein. Es sitzt und steht Einer neben den: Anderen; man kann sich nicht rühren. Ventilation ist keine. Die Luft ist ungesund und dunstig. Die Fenster gehen in den Hof. Im Vocal selbst wird nur Frühstück und Jause genommen, aber man kann zum Frühstück ohnehin nichts nehmen, weil die Hände schmutzig sind. Außerdem darf auch nicht ein Aufhalten geschehen. In dem Betriebe, wo ich früher war, waren drei Frauen und ein Mann.

Baronin Vogelfang: Kommt es vor, daß vom Werkführer oder Unternehmer den Arbeiterinnen etwas Unrechtes zugefügt wird? Exp. Nr. 27: Der Betriebsinhaber, wo ich früher war, hat ein Mädchen gehabt, die war beim Zusammenräumen. Der hat er goldene Uhren und andere Geschenke gegeben. Ob er das nur für das Zusammenräumen gethan hat, weiß ich nicht.

Dr. Rredl: Wie haben Sie Ihre Kinder genährt? Exp. Nr. 27: Ich hatte sie in der Kost.

Dr. Riedl: Selbst genährt haben Sie keines ? Exp. Nr. 27 : Nein.