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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Monatslohne stehenden, weiter beschäftigt werden. Ein geringer Percentsatz der Arbeiter und Arbeiterinnen geht, wenn die Saison vorüber ist, nach den Badeorten. Dort haben viele Unternehmer Filialen, und zwar sind dies fast nur Wiener oder Berliner Unternehmer. Manche nehmen auch ihre Arbeiter dorthin mit. Die Arbeiterinnen in den Salons und in den anderen Geschäften recrutiren sich zum großen Theile aus dem Mittelstände, aus dem Kreise der Lehrer, Beamten u. s. w. Viele sind bei ihren Eltern, die auf den Ver­dienst nicht reflectiren, sondern die nur das Kleidermachen erlernen wollen, damit sie sich eventuell ihre Toilette selbst erzeugen können. So ist mir in der vorigen Woche der Fall vorgekommen, daß eine Arbeiterin, die bei einer Firma in der inneren Stadt beschäftigt war, in Baden gewohnt hat. Sie hat täglich 70 kr., und diese 70 kr. hat sie auch verfahren. Sie hat nur gearbeitet, wie sie sagte, um für sich und ihre Schwester die Toiletten machen zu können.

Dr. Osner: Was machen die Heimarbeiterinnen? Machen die das ganze Kleid selbst? Exp. Smitka: Ja, meistens arbeiten noch Schwestern u. s. w. mit. Die machen aber nur Arbeiten von geringerer Qualität.

Dr. Schwiedland: Machen nicht auch die in den Lehr-Jnstituten ausgebildeten Mädchen und Frauen den Arbeiterinnen Concurrenz? Und können nicht auch beschäftigungslose Dienstmädchen zu gewissen Arbeiten verwendet werden? Exp. Smitka: Die Mädchen, die in den Lehr­anstalten ausgebildet werden, gehören fast ausschließlich dem Mittelstände an, und sie machen in der That den Anderen Concurrenz. Dienstmädchen findet man in den Salons nicht. Es werden schon die Arbeiterinnen, die nur sechs Monate gelernt haben, dort nicht mehr aufgenommen. (Ueber Befragen.) Die Bezahlung der Stückmeisterinnen geschieht nach dem Stücke, während die meisten Arbeiterinnen in Folge der Arbeitstheilung nach der Zeit entlohnt sind. Das Lehrmädchen-Unwesen in diesen Geschäften ist ein großer Unfug. Die Zahl der Lehrmädchen ist in einer Weise gestiegen, die wirklich horrend genannt werden muß. Es werden auch viele Arbeiterinnen beschäftigt, die Vormittag Dienstmädchen, Nachmittag Lehrmädchen sind.

Dr. Schwiedland: Kommt es vor, daß Lehrmädchen Platzgeld zahlen? Exp. Smitka: Das kommt nicht vor.

Dr. Osner: Wissen Sie, welches Verhältniß zwischen den Ar­beiterinnen, welche aus diesen Erwerb angewiesen sind, und jenen, welche blos lernen wollen, besieht? Exp. Smitka: Ich nehme an, ein Drittel sind in den Geschäften in der Stadt, die auf den Verdienst angewiesen sind, die anderen zwei Drittel nur mehr oder weniger. Das gilt von den Salons. In den kleinen Geschäften ist das Umgekehrte der Fall. Denn die Arbeiterinnen aus dem Mittelstände drängen sich nur in die Salons. Es ist gewissermaßen eine Ehre, wenn es heißt, sie ist in einem Salon be­schäftigt.

Dr. Weißkirchner: Sind in den Mittel- und kleinen Betrieben die jugendlichen Arbeiterinnen als Lehrmädchen angemeldet? Experte Smitka: Wenn sie als jugendliche Hilfsarbeiterinnen angemeldet werden, so muß die Betriebsunternehmerin die Krankencassenbeiträge zahlen; da kommt ihr doch das Aufdingen billiger. Darum kommen jugendliche Hilss- arbeiterinnen in dieser Branche selten vor.

Dr. Weißkirchner: Glauben Sie, daß die von der Genossen­schaft ausgewiesene Zahl der Lehrmädchen den wirklichen Verhältnissen ziemlich nahe kommt? Exp. Smitka: Es kommt oft vor, daß die Mädchen erst, wenn sie schon sechs Monate oder ein Jahr lernen, aufge- dungen werden. Ebenso ist es mit dem Freisprechen. Die Zahl der verwen­deten Lehrmädchen ist entschieden größer als die der ausgewiesenen. Die in den Lehr-Jnstituten Arbeitenden kommen überhaupt nicht in der Ge-

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