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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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der Schreigasse bei einer kleinen Firma. Außer mir war noch ein Fräulein dort beschäftigt. Vorher war ich zu Hause; ich habe wegen des Fehlens des Lehrbriefes keine Arbeit bekommen. Jetzt arbeite ich als sogenannte Hans­schneiderin, wiewohl ich viel lieber in einem Salon arbeiten würde.

Tr. Ofner: Wie lange waren Sie in den Geschäften dauernd beschäftigt? Exp. Nr. 53: Nach der Lehrzeit habe ich noch zwei Jahre gearbeitet, und dann war ich nicht lange in einem Salon.

Vorsitzender: Wie war es denn in dem Betrieb, in dem Sie zwei Jahre waren? Exp. Nr. 53: Das ist schon lang her, ich war damals noch ein Kind und weiß nicht, ob ich genaue Angaben werde machen können.

Vorsitzender: Erzählen Sie uns also über Ihre jetzige Haus­arbeit etwas Näheres. Exp. Nr. 53: Das ist eine sehr ungewisse Arbeit, wiewohl sie besser gezahlt wird als die Salonarbeiten, aber bei den Damen ist nie länger als zwei bis drei Wochen zu thun, und das ist selten, meist nur eine Woche. Die Saison ist im Frühjahr und Herbst; in der soge­nannten stillen Zeit muß ich Psaidlerarbeiten, Schürzen und dergleichen annehmen. Der Verdienst ist sehr ungleich. Besser situirte Damen bezahlen fl. 1'20, 1'30 für den Tag mit Verköstigung, andere auch nur 80 kr. Die Verköstigung ist je nach dem Haus, wo man ist. Die Arbeitszeit ist länger als in den Salons, sie beginnt um 8 Uhr Früh und dauert bis 8 Uhr Abends. Bei pressanter Arbeit auch länger; manchmal sogar bis halb 10 Uhr. Pausen gibt es eigentlich überhaupt keine. Nur zu Mittag höchstens eine Viertelstunde.

Wittelshöfer: Essen Sie allein? Exp. Nr. 53: In weniger bemittelten Häusern bei Tisch, in besseren Häusern in dem Arbeitsraume.

Vorsitzender: Sind Sie bei den Eltern? Exp. Nr. 53: Bei der Mutter, die ich erhalte.

Vorsitzender: Und wie leben Sie denn in der Zeit, wo Sie weniger Beschäftigung haben? Exp. Nr. 53: Da ist es allerdings sehr traurig; wir müssen uns einschränken und die Ersparnisse zusetzen. Wir bewohnen ein Cabinet und zahlen monatlich fl. 8. In der todten Zeit haben wir die ganze Woche kein Fleisch, außer am Samstag (ich bin eine Jüdin). Die Mutter verdient nichts.

Tr. Schwiedland: Gestern hat eine Vertreterin desselben Typus von Arbeit hier angegeben, daß die Arbeit in den Häusern zunimmt, und daß sie immer Kunden hat. Kann man also dabei existiren? Expertin Nr. 53: Je nachdem man mehr Bekanntschaften hat. Ich komme sehr schwer aus. Die Kunden bekommt man durch Recommandation. Ich zum Beispiel annoncire niemals.

Dr. Schwiedland: Haben Sie in dem Betrieb, in dem Sie waren, alle Arbeiten gelernt? Exp. Nr. 53: Ja.

Dr. Schwiedland: Gehören Sie der Krankenkasse an? Expertin Nr. 53: Nein.

Dr. Schwiedland: Waren Sie auch in dem früheren Betriebe nicht versichert? Exp. Nr. 53: Nein.

Dr. Ofner: Richtet sich Ihre Beschäftigung in den Häusern nach ganzen Wochen? Exp. Nr. 53: So lange, als eben die Arbeit in An­spruch nimmt, eine ganze Woche oder auch mehr. Es vergeht mitunter einige Zeit, bis ich wieder eine Arbeit bekomme.

Wittelshöfer: Arbeiten Sie auch an Sonn- und Feiertagen? Exp. Nr. 53: An Feiertagen würde ich es thun, wenn es die Damen verlangen würden, aber sie verlangen es nicht. An Sonntagen arbeite ich absolut nicht.

Dr. Schwiedland: Welches ist denn der höchste Lohn für eine Hansschneiderin? Exp. Nr. 53: fl. 2.