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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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habe ihnen die Anordnung gezeigt und gesagt, man will nur einen Ueber- blick bekommen über die Verhältnisse der Arbeiterinnen, sie sind aber nicht gegangen. In den Fachverein kann man sie auch nicht bringen, obwohl das sehr nützlich wäre. Sie könnten dort Bücher lesen und Schnittzeichnen lernen. Exp. Nr. 53: Ich möchte bemerken, daß ein Fräulein dort, wo ich diese Woche gearbeitet habe, beschäftigt ist, die in einem bekannten Institut gelernt hat. Eine ältere Schwester von ihr hat 14 Monate dort gelernt. Sie war nicht aufgedungen. Nun hat sie dort eine Probearbeit gemacht und hat den Lehrbrief bekommen. Ich habe mich unzählige Male bemüht, einen Lehrbrief zu bekommen. Ich habe ein Jahr lang gelernt und zwei Jahre in demselben Geschäft gearbeitet und habe kein Zeugniß bekommen, obwohl ich die Kosten bezahlen wollte. Bei diesem Fräulein ist das gegangen, weil der Jnstituts- Jnhaber sich für sie bemüht hat.

Schluß der Sitzung 10 Uhr.

11. Sitzung, Dienstag, 10. Mär; 1896.

Vorsitzender: Pros. Dr. v. Philipxooich.

Beginn 7 Uhr Abends.

Vorsitzender: Wir haben heute Experten aus der Branche der Posamentirer lPassementerie).

Expertin Nr. 57 (auf Befragen des Vorsitzenden): Ich bin in einem mittleren Betriebe beschäftigt; früher war ich in einem großen. Im großen Betriebe habe ich gelernt und weiter gearbeitet. Dann kam ich in einen anderen und endlich in den jetzigen. In dem großen Betriebe, wo ich lernte, machten wir Möbelarbeit. Es waren dort etwa 30 bis 35 Arbeiterinnen, davon 20 bis 25 Lehrmädchen. Ich war drei Jahre Lehrmädchen. Es werden jährlich zwei bis drei freigesprochen.

Vorsitzender (zum Experten U): Welche Arbeit machen die Frauen? Experte U: Am Stuhl arbeiten nur Männer, und zwar an jedem Stuhle einer. Dann kommt die Arbeit zum Tische, und die Arbeiterinnen müssen sie fertigstellen. Vom Stuhle kommt das lose Gewebe, das muß geknüpft werden, und dann werden die Quasten eingeknüpft.

Exp. Nr. 57 (über Befragen): Die Arbeiterinnen recrutiren sich aus Arbeiterkreisen. Wir werden nach der Woche entlohnt und bekommen fl. 3 bis 6. Die Lehrmädchen bekommen fl. 1-50, dann fl. 2 und 2'50. Bis Eine fl. 3 verdient, dauert es zweieinhalb Jahre. Dann steigt sie immer um 50 kr. bis fl. 6, je nachdem sie etwas kann. Ich habe nie fl. 6 verdient, sondern nur fl. 5'50 oder 5. Im Winter, wenn das Geschäft schlecht geht, werden wir schlechter bezahlt. Die Saison ist von August bis Jänner.

Vorsitzender: Wie erfolgt die Steigerung des Lohnes? Exp. Nr. 57 : Man muß den Herrn darum anredeu, daß er den Lohn erhöht.

Vorsitzender: Werden Ihnen Abzüge gemacht? Exp. Nr. 57: Wenn man nur um zwei Minuten zu spät kommt, wird schon abgezogen.

Vorsitzender: Haben Sie eine Arbeitsordnung ? Exp. Nr. 57: Ja.

Vorsitzender: Haben Sie dieselbe in die Hand bekommen? Exp. Nr. 57: Sie hängt an der Wand.

Vorsitzender: Wissen Sie, was darin steht? Exp. Nr. 57: Damals habe ich es gewußt, jetzt weiß ich's nicht mehr.