Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
189
Einzelbild herunterladen

18V

auch das Aufdingen und Freisprechen bezahlen. Sie sind aber doch froh, wenn sie ein Mädchen unterbringen. Die meisten sind über 14 Jahre alt. Die Entlohnung ist sehr schlecht. Bei der Aufnahme wird ihnen gesagt, daß sie bis auf fl. 8 kommen können. Im ersten Jahre erhalten sie fl. 1 pro Woche. Im zweiten sollte das Mädchen fl. 2 bekommen, bekommt aber nur fl. 1'50, und im dritten, wo sie fl. 3 erhalten sollte, erhält sie erst vor­dem Freisprechen fl. 2.

Vorsitzender: Sind Lehrmädchen dort auch zu Arbeiten verwendet worden, die mit dem Gewerbe nicht zusammenhängen? Exp. Heim: Sie müssen Gänge verrichten, auskehren, und meistens müssen sie das Rad treiben. Erst wenn sie freigesprochen waren, haben sie eigentlich gelernt.

Vorsitzender: Waren keine Lehrjungen da? Exp. Heim: Sie wurden meistens bei der Börtelmaschine verwendet.

Vorsitzender: Haben die Mädchen durch mehrere Stunden das Rad treiben müssen?Exp. Heim: Auch einen halben und einen ganzen Tag. Wir haben drei, vier Schnurdreher gehabt, und da sind alle Tage drei, vier Mädchen zum Drehen beordert worden. Sie wurden dabei so müde, daß sie nicht mehr drehen wollten; aber die Gehilfen, die per Stück bezahlt sind, haben sie gezwungen.

Vorsitzender: Haben die Lehrmädchen von den Gehilfen zu leiden gehabt? Exp. Heim: Die haben ihr Recht behauptet. Wie die Eltern der Mädchen sich beklagten, ist eine Aenderung eingetreten; sie hat aber nicht lange gedauert.

Vorsitzender: Was hat der Werkmeister gesagt? Exp. Heim: Wir haben keinen gehabt.

Vorsitzender: Und hat es der Herr geduldet? Exp. Heim: Wenn die Gehilfen gesagt haben, die Lehrmädchen wollen nicht folgen, so haben diese noch eine Strafe bekommen.

Vorsitzender: Waren nicht Vorsteherinnen da, die die gewerbliche Ausbildung der Mädchen zu überwachen hatten? Exp. Heim: Die ersten Arbeiterinnen haben sich um die Mädchen nicht gekümmert.

Vorsitzender: Kümmerten sich auch die Eltern nicht? Experte Heim: Da hat es oft Streitigkeiten gegeben. Es ist ihnen immer ver­sprochen worden, daß es anders werden wird. Bezüglich der Hausindustrie möchte ich bemerken, daß in einer anderen Fabrik fast alle Arbeiten außer Hause gegeben werden, und daß die Firma sich nur zehn bis zwölf Mädchen hält, die mit fl. 2 bis 3 entlohnt werden. Das ist, wie ich glaube, schon in mehreren Fabriken so eingeführt.

Dr. Verkauf: Sind die meisten Arbeiterinnen bei der Krankencasse gemeldet? Exp. Heim: Nein.

Dr. Verkauf: Haben Sie keine Ahnung, wie groß die Zahl der Heimarbeiterinnen in Wien ist? Exp. Heim: Nein.

Vorsitzender: Es wurde gesagt, daß es Betriebe gibt, wo auch die Männer nur fl. 3 verdienen. Exp. Heim: Das ist in einer gewissen Fabrik. Dort nimmt der Chef alle vacirenden Arbeiter auf. Man sagt, er hat ein Asyl für Posamentirer, damit sie bei Tag Unterstand haben. Er beschäftigt zwei, drei Arbeiter, und wenn die mit der Arbeit fertig sind, bekommen zwei, drei andere etwas zu thun. So geht es die ganze Woche fort, und es erhält dann Jeder in der Woche fl. 2 bis 3. Mich hat es einmal selbst so getroffen. Manchmal haben wir zwei Wochen auf Arbeit warten müssen, aber er hat uns doch am Samstag fl. 2, 3 L Conto gegeben, die wir dann später abarbeiteten. Er zahlt für mittlere Fransen 2 kr., und da muß man curios arbeiten, wenn man im Tag fl. 1-50 verdienen will. Ich bin im Durchschnitt auf 50 kr. pro Tag gekommen. Das geht bei jenem Chef immer so fort.

Dr. Verkauf: Ist das in der guten und in der schlechten Zeit?