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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Verkauf: Wie steht es mit der Verpflegung der Arbeiterinnen? Exp. Nr. 58: Zum Gabelfrühstück esfen sie ein Stück Brot. Diejenigen, die zum Greißler gehen, esfen zu Mittag ein Stück Wurst oder Butter, das kostet 12, 15, höchstens 20 kr.

Dr. Verkauf: Was können sich die Arbeiterinnen zum Nachtmahl zu essen erlauben? Exp. Nr. 58: Wenn ich nach Hause komme, bekomme ich Kaffee oder Thee oder was vom Mittag übrig ist.

Dr. Verkauf: Wie sieht es am Sonntag aus? Exp. Nr. 58: Da habe ich Fleisch und Gemüse.

Dr. Verkauf: Wie ist es mit den Arbeiterinnen, die Niemanden zu Hause haben? Exp. Nr. 58: Die sind meist zu Bett, und da bekommen sie um 15 bis 20 kr. ein Mittagessen.

Dr. Verkauf: Sind es meistens Wienerinnen? Exp. Nr. 58: Ja.

Dr. Ofner: Ich habe immer gehört, daß die Mädchen aus den verschiedenen Fabriken immer zu Mittag in Kaffeehäuser gehen. Warum essen die nicht lieber Eier oder sonst etwas, was nahrhafter ist? Expertin dir. 58: Was macht Eine mit zwei Eiern? Ein Ei kostet ja 8 kr., und alle Tage kann Man nicht Eier essen. Zum Kaffee ißt man ein Stück Brot, und für den Moment ist man mehr gesättigt als mit zwei Eiern.

Vorsitzender: Sind Viele verheiratet? Exp. Nr. 58: Nicht viele.

Vorsitzender: In welchem Alter stehen die Arbeiterinnen? Exp. Nr. 58: Zwischen 18, 30 und 35 Jahren. Einige sind auch schon 50 Jahre alt.

Vorsitzender: Wissen Sie, ob Viele sich selbst erhalten? Exp. Nr. 58: Die Eine hat ihre Kinder zu erhalten, Eine hat eine kranke Mutter, Eine einen kranken Mann. Fast Jede hat für zwei Personen zu sorgen. Es sind nur Einige bei ihren Eltern.

Engel: Was zahlen Sie in die Krankencasse? Exp. Nr. 58: 10 kr. (Ueber Befragen.) Ich habe ein Cabinet direct vom Hausherrn. Ich bin außer in der Krankencasse noch in einem Krankenverein.

Baronin Vogelfang: Können sich die Mädchen in der Saison etwas ersparen? Exp. Nr. 58: Vielleicht solche, die bei ihren Eltern sind.

Expertin Nr. 59 (gibt auf die Fragen des Vorsitzenden an): Ich arbeite in einem mittleren Betriebe. Wir sind über 30 Arbeiterinnen und nur zwei Lehrmädchen. Die Eltern geben die Mädchen nicht gerne zu uns, weil sie in unserem Betriebe nicht alle Arbeiten lernen. Bei uns werden nur Gold- und Silberarbeiten für das Militär gemacht. Da wird ein Lehr­mädchen zu einer bestimmten Arbeit gewiesen, und bei dieser bleibt sie dann meist ein Jahr. Auch der Herr nimmt nicht jedes Lehrmädchen an. Ich bin in diesem Geschäfte erst fünf Monate. Das eine Lehrmädchen lernt die Tisch­arbeit und das andere stickt die Rosen auf die Militärczakos. Die lernen keine andere Arbeit. Ich bin im Ganzen zwölf Jahre beim Geschäft, früher war ich drei Jahre in einem kleinen Betrieb. Ich habe auch in großen Betrieben gearbeitet. Gelernt habe ich am Lande. Ich war in einer großen Fabrik in Niederösterreich und bin 1883 nach Wien gekommen. Ich bin bei der Seidenschweiferei und war früher Winderin.

Vorsitzender: Was haben Sie zu thun? Exp. Nr. 59: Ich muß die Seide von Seidenspulen auf große Haspeln aufdrehen. Es sind circa 180 Meter, und da schweife ich immer mit 20 Fäden ans und ab. Wenn ich eine gewisse Zahl, die für die Borten gebraucht werden, fertig habe, thue ich es wieder auf die große Spule herunter, was sehr schwer ist.

Vorsitzender: Wie wird die Arbeit bezahlt? Exp. Nr. 59: In der ersten Woche habe ich fl. 6 bekommen. Die Werkführerin hat mir gesagt:Sie bekommen vorläufig fl. 6"; jetzt bin ich aber schon ein halbes Jahr dort und habe noch immer nicht mehr. Wie ich nach Wien gekommen