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Exp. Nr. 63 (über Befragen des Borsitzenden): Ich bin in einem Möbelposamenterie-Betrieb. Es sind dort 14 Arbeiterinnen und 16 Lehr­mädchen. Die Zahl der Männer kann ich nicht genau angeben. Unter den Arbeiterinnen gibt es auch ältere, bis zu 45 Jahren: die Mehrzahl derselben ist ledig. Die Lehrmädchen müssen auch sehr viel laufen und das Rad drehen. Es sind drei Räder da, die abwechselnd gedreht werden müssen. Eine Ver­bindung dieser Räder mit der Maschine ist nicht vorhanden. Nach Hause wird keine Arbeit gegeben. Die Arbeiterinnen sind meist Töchter von Arbeitern. Ich habe fl. 6'50 Wochenlohn. Außer mir sind noch sechs Arbeiterinnen da, die ebensoviel verdienen, und eine Ansnahmsarbeiterin, die fl. 7 hat. Es ist das nämlich so: Es sind sechs Tische da, und an jedem hat Eine die Auf­sicht über die anderen Arbeiterinnen, und die hat fl. 6'50. Ich vertheile die Arbeit unter die Lehrmädchen. Dieselben bekommen zuerst leichtere Arbeit und werden nach und nach ausgebildet. Es kommt häufig vor, daß die Lehrmädchen, wenn sie ausgelernt sind, in unserem Betriebe bleiben. Ich selbst bin seit sechs Jahren in unserem Geschäft. Früher war ich bei einer großen Firma, wo ich zuerst lernte und dann noch vier Jahre über die Lehrzeit geblieben bin. Dort habe ich fl. 6 Lohn gehabt und bin wegen eines Verdrusses weggegangen. In dem Betriebe, wo ich jetzt bin, bekam ich drei Jahre fl. 6 und dann sl. 6'50. Meine Beschäftigung ist zwar nicht anstrengend, aber verantwortlich. (Ueber weitere Fragen.) In der Saison werden Ueberstunden gemacht. Die Arbeitszeit ist von 7 bis 6 Uhr, und da wird manchmal allerdings nicht häufig bis 7 Uhr Ueberstunde gemacht. Für das Zuspätkommen werden nach fünf Minuten 3 kr. abgezogen. Die Kündigungsfrist beträgt acht Tage. Die Arbeiterinnen unterstehen dem jungen Herrn und der Magazinenrin. Werkführer gibt's nur bei den Arbeitern. Die Behandlung ist nicht schlecht. Die Lehrmädchen werden auch ganz gut behandelt.

Frl. Boschek: Kann vielleicht von den Expertinnen Jemand etwas mittheilen, ob in Bezug auf die Sittlichkeit und das Verhalten der Werk­führer und Unternehmer zu klagen ist? (Niemand meldet sich.)

Baronin Vogelfang: Wie lange ist das Rad im Gang? Expertin Nr. 63: Je nachdem die Schnur lang ist, eine Viertel- bis eine halbe oder dreiviertel Stunden. Oft wird ein Mädchen zwei-, dreimal im Tag zum Um­drehen des Rades verwendet. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Das Arbeitslocal ist ganz entsprechend. Es entwickelt sich zwar sehr viel Staub, aber jetzt wird Abends immer gelüftet, und im Sommer haben die Arbeiterinnen Vormittags und die Arbeiter Nachmittags offen, denn die beiden Locale hängen zusammen und können nicht zu gleicher Zeit gelüftet werden. Ich bin bei einem Fräulein in Aftermiethe und zahle fl. 3'60 monatlich für das Bett.

Exp. § : Ich höre hier im Allgemeinen, daß unsere Zustände so glänzend sind, und möchte deshalb einige Worte bezüglich der Behandlung sprechen. Es ist namentlich von einer großen Firma die Rede; in dieser Fabrik sind die Zustände aber nicht so glänzend, wie die heutigen Berichte behaupten. Es kamen schon zwei Fälle in dieser Fabrik vor, welche zeigten, daß es mit der Sittlichkeit nicht so bestellt ist, wie es sein sollte. Zwischen Werkführern und Lehrmädchen kommen Sachen vor, die man hier gar nicht aussprechen kann. Ich glaube, der Herr Experte Neumann könnte uns Auskunft geben, aus welchem Grunde zwei Werkführer entlassen worden sind?

Exp. Vogels: Das hört sich so an, als ob es sich auf meine Person bezöge. Deshalb bemerke ich, daß jene Fälle vorkamen, als ich noch nicht im Geschäft war; es sollen damals zwei Werkführer wegen derartiger Dinge entlassen worden sein.

Exp. Neumann: Was die Sittlichkeit betrifft, so kann ich nur für meine eigene Person sprechen, und da ist das Verhältniß zu den anderen Arbeiterinnen immer ein derartiges gewesen, wie es sich für einen Vor-