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Herrdegen: Wie sind die Verhältnisse Ihrer Frau? Exp. Nr. 64' Die sind schlechter als die meinen. Wenn in einer Woche sehr heikle Arbeiten vorkommen, hat sie oft am Samstag wenigerübrig als ich, obwohl sie immer mitarbeitet, allerdings macht sie ihre häuslichen Arbeiten neben­bei; sie ist aber ledig. «Jeder Befragen der Vorsitzenden.) Ich wohne bei meiner Schwester im sechsten Bezirk. Mein Schwager ist Geschäftsdiener in einer Fabrik. Die Wohnung besteht aus Zimmer, Cabinet und Küche und kostet vierteljährig sl. 45. Es wohnen dort sechs Personen. Außer mir meine Mutter, meine Schwester, mein Schwager, ein Kind und mein Bruder. Wir haben täglich in der Früh Kaffee, Mittag Suppe, Fleisch und Zuspeise. Ich esse sehr wenig, weil ich in Folge des langen Sitzens magenkrank bin. Abends essen wir, was von Mittag übrig ist, oder es wird etwas frisch ge­macht. Ich nehme zum Nachtmahl meistens meine Jause, Gabelfrühstück nehme ich nicht, weil ich sonst Mittag keinen Appetit habe.

Dr. Ofner: Wie viel zahlen Sie Ihrer Schwester? Exp. Nr. 64: Etwas über fl. 3 für Alles.

Bardorf: Wie leben die zwei anderen Arbeiterinnen ?Exp. Nr. 64: Eine ißt bei ihren Eltern, die zweite geht in's Gasthaus essen.

Dr. Ofner: Wie lebt Ihre Frau? Exp. Nr. 64: Sie lebt mit ihrem Bruder zusammen. Wenn sie den nicht hätte, würde sie mit ihrem Verdienst nicht auskommen. (Ueber Befragen.) Geschenke haben wir der Frau nicht zu machen.

Vorsitzende: Wie ist das Arbeitslocal? Exp. Nr. 64: Es ist im zweiten Stock, die Fenster gehen in den Hos. Das Local ist hell und luftig. Gelüftet wird in der Früh, bevor wir kommen, oder Mittags; während der Arbeit kann nicht gelüstet werden, weil es sonst zu kalt ist. Es wird genügend geheizt. Wir haben einen englischen Abort.

Dr. 'Schwiedland: Wird in dem Zimmer, wo Sie arbeiten, auch geschlafen? Exp. Nr 64: Die Frau schläft dort. Ihr Bruder schläft im Cabinet.

Vorsitzende: Sind die anderen Arbeiterinnen verheiratet? Exp. Nr. 64: Alle sind ledig.

Vorsitzende: Was thun Sie zu Ihrer Erholung? Exp. Nr. 64: Wenn ich nicht sehr müde bin, gehe ich spazieren. Ich sollte es täglich thun, aber ich bin oft zu ermüdet dazu. An Sonntagen mache ich, wenn es möglich ist, Ausflüge. Einem Fachverein gehöre ich nicht an. Ich war beim Arbeiter­bildungsverein, bin aber ausgetreten, weil mir dort Verschiedenes nicht ge­fallen hat. Ich bin bei keiner Krankencasse.

Vorsitzende: Haben Sie Jemand zu unterstützen? Exp. Nr. 64: Wir haben unsere Mutter bei uns, sonst Niemand.

Dr. Schwiedland: Lesen Ihre Colleginnen eine Zeitung? Exv. Nr. 64: Die Eine liest dieArbeiter-Zeitung", und auch ich, die Andere kümmert sich nicht darum.

Experte (4 (über Befragen): Es gibt in der Miederbranche Vier- Kategorien von Arbeiterinnen: die Einzieherinnen, die Stickerinnen, die Einfasserinnen und Appreteurinnen. Das Stück wird von männlichen Arbeitern zugeschnitten, dann kommt es außer Haus zu den Näherinnen, wird von diesen in die Fabrik abgeliefert und dort ausgefertigt. Das Zuschneiden mit der Maschine hat sich nicht überall bewährt, insbesondere dann nicht, wenn nur kleine Partien zu machen sind. Die Appretur wird im Hause gemacht. In meinem Betriebe ist die Appretur in einem Raum mit zwei Fenstern untergebracht. Darin sind 26 Kupserbüsten. Diese werden mit Gas geheizt, hie und da auch mit Dampf. Die Mieder werden angefeuchtet, ge­stärkt, gespannt und dann daraufgelassen bis sie trocken sind. Gebügelt wird nur sehr selten, weil das Zugehör, z. B. Fischbein, oft so beschaffen ist, daß es eine plötzliche Hitze nicht verträgt. In kleinen Betrieben wird über-