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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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der Schwangerschaft gearbeitet haben ? Exp. Nr. 75: Ja, die Geburt war schlecht.

Expertin Nr. 76 (gibt über Befragen des Vorsitzenden an): Ich bin in einem Großbetriebe seit zweieinhalb Jahren. Es ist über diesen Betrieb schon von mehreren Experten ausgesagt worden. Früher war ich ein Jahr in einem anderen Geschäfte, wo 40 bis 45 Arbeiterinnen waren. Auch das ist ein großer Betrieb. Dort waren Näherinnen, Einzieherinnen, Ein- fasserinnen u. s. w. Ich bin Miederstickerin. Die Arbeit geht durch das ganze Jahr, und sind bei meiner Arbeit nur Frauen beschäftigt. Näh­maschinen und Einschlagemaschinen sind im Betriebe, die Stickerinnen aber haben keine Maschinen. Lehrmädchen sind zwei. Die Arbeiterinnen recrutiren sich zumeist aus den Arbeiterkreisen. Ich bin in das erste Geschäft durch Anfrage gekommen, in das zweite bin ich recommandirt worden. Ich werde nach Stück bezahlt und verdiene durchschnittlich fl. 6 in der Woche. Wenn die Arbeit besser geht, verdiene ich fl. 6' 2 bis 7. Es kommt auch vor, daß ich nur fl. 5 verdiene. Jetzt habe ich durch sieben Wochen noch keine fl. 6 verdient, meistens fl. 5'/?. Die stärkere Zeit ist im Sommer, Frühjahr und Herbst. Ueberstunden gibt es in der Regel nicht. Einige Male hat uns der Herr ersucht, wir sollen Arbeit mit nach Hause nehmen, und das ist so bezahlt worden, wie im Geschäfte. Abzüge und Strafen kommen nicht vor. Eine Fabriksordnung bestand nicht. Ich bin 48 Jahre alt. Ich habe eine Mutter, welche Wäscherin ist. Früher war ich ein Jahr im Dienst; ich war aber zu schwach dazu. Wir haben im früheren Geschäfte von '/,.8 bis 42 und von 4 bis 7 Uhr gearbeitet. Vor- und Nachmittags waren Pausen zum Essen. Zu Mittag bin ich im Geschäfte geblieben, oder ich bin spazieren gegangen. Wenn ich zum Gabelfrühstück etwas mehr esse, nehme ich dafür zu Mittag nichts. Früher bin ich nach Hanse gegangen, da habe ich aber 20 kr. zahlen müssen. Das war zu viel, denn ich muß den ganzen Tag mit 30 kr. leben. An Sonn- und Feiertagen wird nicht gearbeitet. Wenn viel zu thun ist, wie zu Ostern, wird die Arbeit nach Hause gegeben, die man jedoch nicht nehmen muß. Die Kündigungsfrist ist eine vierzehntägige. Die Arbeit, besonders die bessere, ist für die Augen sehr. anstrengend. Beim Unternehmer wohnen keine Arbeiterinnen. Geflhenke haben wir nicht zu machen. In der Früh esse ich Milch und Brot. Kaffee hat mir der Doctor verboten, weil ich blutarm bin. Zum Gabelfrühstück esse ich ein Ei und Brot, zur Jause Butterbrot uud Bier, Abends Butterbrot und Bier oder Wurst und Brot, am Sonntag Fleisch und ein Achtel rothen Wein.

Vorsitzender: Stehen Sie fortwährend in ärztlicher Behandlung ? Exp. Nr. 76: Ich gehe oft zum Arzt, weil ich sehr viel an Kopf­schmerzen und Schwindel leide. Ich bin in der Genossenschafts-Krankencasse versichert.

Dr. Adler: Um wie viel Uhr nehmen Sie das Ei? Exp. Nr. 76 : Um 40 Uhr, manchmal auch später, erst zu Mittag. Wenn ich Vormittag nichts habe, kaufe ich mir zu Mittag ein Butterbrot, Suppe oder Gemüse.

Dr. Adler: Was haben Sie dann Mittag? Exp. Nr. 76: Gemüse oder Suppe. Das nehme ich vom Gasthause in's Geschäft.

Vorsitzender: Wenn Sie Gabelfrühstück nehmen, essen Sie zu Mittag nichts? Exp. Nr. 76: Gabelfrühstück und Mittagessen ist bei mir eins.

Dr. Adler: Dürfen Sie nicht mehr ausgeben? Exp. Nr. 76: Ich darf schon, aber dann komme ich nicht aus.

Dr. Adler: Was kostet das Essen? Exp. Nr. 76: 5 kr. Milch, 2 kr. Semmel oder 4 kr. Brot, zum Gabelfrühstück 4 Ei 3 kr. und 4 kr. Brot, Nachmittag Milch oder Bier und Butterbrot und Abends Butter­brot oder um 3 oder 4 kr. Wurst.

Dr. Adler: Wenn Sie also Vormittag essen, so essen Sie von

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