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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
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Tr. Schiff: Was geschieht nach dem ersten Jahr mit den Lehr­mädchen ? Exp. Nr. 83: Dann bekommen sie fl. 1 Zulage. Sie lernen nur zwei Jahre, dann bekommen sie in den ersten vier Wochen einen Lohn je nach ihrer Leistungsfähigkeit. Eine Fabriksordnung haben wir. Sie ist ausgehängt. Ich bin bei der Krankenversicherung. Eine Organisation gibt es nicht.

Expertin Nr. 84: Ich bin in einem Betriebe, wo nur Banernwaare, kleine Bouquets für das Land, erzeugt wird. Wir machen da Alles. Der Betrieb ist nicht groß; es sind zwei Arbeiterinnen und vier Lehrmädchen. Außer Hause wird nur an eine Person Arbeit gegeben. Männer sind keine. Alles ist Handarbeit. Die Arbeitsvermittlung ist wie besprochen. Ich habe fl. 7 monatlich, die erste Arbeiterin hat fl. 10, die Lehrmädchen haben keinen Lohn. Alle haben Kost und Wohnung. Im Winter ist es im Zimmer oft kalt. Da hat einmal der Herr gesagt, er steckt uns die Köpfe in den Ofen^ damit uns wärmer werde.

Vorsitzender: Wollten Sie auch lieber einen höheren Lohn ohne Kost? Exp. Nr. 84: Das wäre mir lieber. Die Kost ist nicht alle Tage gleich. Sie wird von der Köchin zubereitet. Die Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Das Geschäft führt die erste Arbeiterin. Die zwei Herren (Vater und Sohn) verstehen nichts davon. Die Arbeit ist das ganze Jahr gleich. Ueberstunden kommen oft vor. Wir arbeiten von Halb 7 Uhr Morgens bis halb 8 Uhr Abends. Die Mittagspause wird nicht eingehalten. Der Gewerbe- Jnspector war noch nicht bei uns. Von Seite der Herren kommen viele Rohheiten vor. Die Ueberstunde wird mit 10 kr. bezahlt. Abzüge und Strafen gibt es nicht. Wir sind in derselben unangenehmen Weise auf­geweckt worden, wie erzählt worden ist. Wir haben gesagt, daß wir das nicht mehr haben wollen, und die Frau hat es auch abgestellt. Im Fasching müssen wir auch die ganze Nacht arbeiten.

Vorsitzender: Wie ist es, wenn Sie sagen, Sie wollen nicht?

Exp. Nr. 84: Das ist noch nicht vorgekommen. Wir haben dafür 80 kr. bekommen. In der Früh haben wir eine Stunde Pause gehabt, und dann haben wir wieder weiter arbeiten müssen. Das kommt in der Woche ein- oder zweimal vor.

Vorsitzender: Hat das Geschäft auch Absatz an Kunden? Exp. Nr. 84: An größere Geschäfte. Das Arbeitslocal besteht aus einem kleinen Zimmer mit einem Fenster. Da sitzen sechs Personen. Der Herr hat eine Tischlerei nebenan mit 18 Arbeitern. Er ist aber immer bei uns zur Aufsicht. Wir haben Auer'sches Licht. Die Arbeit ist sehr anstrengend. Die Blätter werden bei uns nicht gemacht. Der Abort wird von sehr vielen Leuten benützt.

Vorsitzender: Sind Sie von der Tischlerei weit entfernt? Exp. Nr. 84: Die Werkstätte ist von uns nur durch eine Thür getrennt. Oft muß man hineingehen, um Blätter zu trocknen, aber unterhalten darf man sich da nicht, da geht der Herr immer gleich nach. In Bezug auf die Sittlichkeit haben wir uns über beide Herren zu beklagen. Sie haben micch sowie alle übrigen Mädchen belästigt.

W i t t e l s h ö f er: Kommt bei Ihnen auch das Ausschläger: vor?

Exp. Nr. 84: Das mache ich, das ist sehr anstrengend.

W i tt e ls h ö f e r: Wie viel Zeit verwenden Sie dazu? Expertin Nr. 84: Oft den ganzen Tag.

Wittelshöfer: Bekommen die Lehrmädchen Kleider? Expertin Nr. 84: Nein, die bekommen sie von den Eltern.

Wittelshöfer: Wird im Arbeitsraum geschlafen? Expertin Nr. 84: Ja, sechs Personen schlafen dort; drei Arbeiterinnen, zwei Lehr­mädchen und eine Köchin.