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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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18. Sitzung, Donnerstag, 19. Wär; 1896.

Vorsitzende: Frau Popx.

Beginn 7 Uhr 20 Minuten Abends.

Vorsitzende: Gegenstand unserer heutigen Sitzung ist zuerst das Baugewerbe. Experte Herr Franz Nader: Die Frauen werden beim Baugewerbe hauptsächlich bei der Mörtelbereitnng und als Mörtel­trägerinnen verwendet. Die Mörtelanmacherinnen müssen auch das Kalk­löschen besorgen, das aber nur bei Nacht vorgenommen wird. Diese Arbeit beginnt um 6 Uhr nach der Arbeitszeit und dauert oft bis 10, 12 Uhr Nachts. Das Mörteltragen ist eine sehr anstrengende Arbeit. Ein volles Schaffe! wiegt 10 bis 15 Kilo. Da nun nicht bei allen Bauten Mörtelaufzüge eingeführt sind, so müssen die Frauen den Mörtel hinauftragen. Aber auch dort, wo Aufzüge vorhanden sind, müssen sie den Mörtel von Stock zu Stock tragen. In der Regel wird der Mörtel am Kopf getragen. Treppen gibt es bei den Bauten in Wien nicht, wie dies zum Beispiel in Deutsch­land der Fall ist. In Wien werden ausschließlich Leitern benützt. Wie viel Mörtelschasfel eine Frau im Tage tragen muß, hängt von der Größe des Baues ab. Man kann sagen, daß es durchschnittlich 200 bis 300 Schaffe! täglich sind. Früher wurden nicht so häufig zu dieser Arbeit Frauen ver­wendet; jetzt bürgert sich das immer mehr ein, wahrscheinlich deshalb, weil die weiblichen Arbeitskräfte billiger sind und nach meiner Ansicht sich auch besser dazu eignen, da sie sich Alles gefallen lassen. Die Arbeitszeit ist im Sommer von 7 bis 6 Uhr. Dafür erhalten die Leute 70, 75 bis 80 kr., die Mörtelanmacherinnen 80 kr. Wenn die Arbeitszeit verkürzt wird, wird auch der Lohn entsprechend verkürzt und sinkt aus 60 und auch auf 50 kr. Ja, es ist auch vorgekommen, daß bei verkürzter Arbeitszeit nur 48 oder 47 kr. gezahlt wurden. Die Frauen werden nicht nur vom Polier dressirt, sondern auch von den anderen Arbeitern. Eine Krankenstatistik haben wir nicht, da wir keine genossenschaftliche Krankenkasse haben. Wie die Männer bei dieser Arbeit bezahlt wurden, weiß ich nicht. Heute kommen männliche Arbeitskräfte bei dieser Arbeit nur noch am Lande vor und bekommen 20 bis 30 kr. pro Tag mehr als die Frauen. Heute werden fast ausschließlich Frauen zu dieser Arbeit verwendet und nur ausnahmsweise auch jugendliche Hilfsarbeiter. Ich habe selbst als Lehrjunge Mörtel getragen. Ich hätte aber diese Arbeit nicht lange leisten können, weil sie sehr schwer ist.

Vorsitzende: Besorgen auch die Männer das Kalklöschen in der Nacht? Exp. 9tader: Nein.

Dr. Frey: Sie sagten, daß die Mörtelanmacherinnen oft bis 12 Uhr Nachts arbeiten'müssen. Was machen die bei Tag? Exp. 9t aber: Bei Tag müssen sie Mörtel bereiten. Das Kalklöschen wird aber nicht alle Tage vorgenommen. Je nach der Größe des Baues kommt es ein-, zwei- oder dreimal in der Woche vor. Da sind immer zwei bis drei Arbeiterinnen beisammen und die hekommen von dem betreffenden Kalklieferanten zusammen sl. 1-50 bis 2.

Dr. Frey: Wie viel Arbeiterinnen werden im Baugewerbe verwendet? Exp. Nader: Das kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben.

Dr. Frey: Sind Sie bei einem Baue beschäftigt? Exp. Nader: Momentan nicht. Man kann sagen, daß beim Baugewerbe durchschnittlich auf zwei Männer ein Weib kommt.

Engel: Außer der Mörtelbereitung und dem Mörteltragen haben die Frauen keine Beschäftigung? Exp. Nader: Wenn der Bau fertig ist, haben sie die Reinigungsarbeiten zu besorgen, Feusterputzen, Waschen u. s. w.