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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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ein Stück Brot, zu Mittag gehen sie nach Hause oder in die Volksküche und essen dort Suppe und Gemüse. Ich bin in die Volksküche gegangen und habe dort 10 kr. ausgegeben; das Essen ist nicht allzu schlecht. Manche Mädchen nehmen sich auch das Mittagessen mit und wärmen es sich irgendwo. Aber in der Fabrik darf Niemand bleiben; die nicht nach Hause gehen können, müssen die Zeit aus der Straße zubringen. Ich selbst konnte nach Hause gehen, weil ich in der Nähe gewohnt habe. Zur Jause essen die Arbeiterinnen nichts, höchstens wenn ihnen etwas Kaffee übrig geblieben ist. Zum Nachtmahl nehmen sie meist Kaffee, auch ich habe mir zu Hause Kaffee gekocht. Ich bin von meiner Schwester dann und wann unterstützt worden und habe auch am Sonntag bei ihr gegessen. Sonst habe ich während der ganzen Woche kein Fleisch, auch keine Wurst gegessen. Die anderen Arbeiterinnen können am Sonntag höchstens Pferdefleisch essen.

W i t t e l s h ö fe r: Wie sind dort die Lokalitäten? Exp. Nr. 104 : Sie waren ziemlich luftig, denn es war ein neugebautes Haus.

Vorsitzender: Wo arbeiten Sie jetzt? Exp. Nr. 104; Bei einer Elektricitäts-Firma. Da kann ich mich nicht beschweren, da habe ich meine Stellung verbessert.

Wittelshöfer: Haben Sie denn während der sechs Jahre keine bessere Arbeit gefunden? Exp. Nr. 104: Mein Mann war so lange krank, und da habe ich mich um gar nichts Anderes kümmern können. Und dann: wenn man am Abend aus der Fabrik nach Hause kommt, so ist das so, wie wenn man ein Pferd oder einen Ochsen aus dem Pflug spannt; man legt sich hin und denkt an gar nichts, auch daran nicht, daß man sich um eine bessere Stellung umschauen könnte. Es waren dort meist ältere Frauen beschäftigt. Wir waren in einem sehr ausgedehnten, einstöckigen Fabriksgebäude. Die Arbeitsräume sind groß, luftig, licht und auch ziemlich rein. Die Wände werden gereinigt, der Fußboden wird täglich vom Haus­knecht gekehrt; aber er kann nicht aufgerieben werden, denn das Holz ist von dem Oel rc. so fett, daß das Aufreiben nichts nützt, und so bleibt der für ewige Zeiten. Die Fenster werden jährlich zweimal von den Arbeiterinnen selbst gereinigt; es ist das die Sonntagsarbeit, von der ich gesprochen habe, für die sie st. 1 bekommen. Die Aborte sind neu, aber nicht englisch. Die ganze Fabrik ist erst vor drei Jahren neu gebaut worden. Die Frauen und Männer arbeiten zwar zusammen, jedoch ist die Aufsicht sehr streng, so daß keine Unsittlichkeiteu vorkommen; das gilt sowohl von unserer Abtheilung, wo meist Frauen waren, als auch von den anderen Abtheilungen, wo viele junge Mädchen sind. Ich bewohne allein ein Zimmer und Küche und zahle dafür st. 7 monatlich; ich habe auch keine Aftermiether. Ich bin in der Organisation; ich gehörte derselben auch schon damals an, als ich wegen des Strikes gemaßregelt wurde. Ich bin jetzt in der allgemeinen Kranken­kasse, bezahle 17 kr. wöchentlich und erhalte im Krankheitsfälle st. 4'20. In der Fabrik war eine eigene Betriebs-Krankencasse, wo wir 10 kr. zahlten und fl. 3'04 bekamen. Für die Unfallversicherung ist nichts abgezogen worden.

Dr. Ofner: Haben Sie Kinder gehabt, und in welchem Alter sind die gestorben? Exp. Nr. 104: Ich hatte vier Kinder; eines starb mit sieben Jahren, eines mit sechs Monaten, eines mit drei Wochen, eines mit zwei Jahren.

Vorsitzender: Wir schreiten nunmehr zur Vernehmung einer Expertin aus dem Arsenal. Expertin Nr. 107: Wir haben die Ueber­nahme der Patronenhülsen. Es sind dort jetzt etwa 260 Mädchen beschäftigt. Wenn wenig Arbeit ist, nur 80 bis 100, denn die Saison hat bei uns starken Einfluß. Wir haben bis zum Hochsommer viel Arbeit, im Herbst verliert sich das, und im Februar beginnt die Arbeit mehr zu werden. Es sind bei uns nur 20 Männer, nämlich die Schießer, beschäftigt und auch nur wenig Kinder von 15 Jahren aufwärts. Einen Motorenbetrieb gibt's