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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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davon ab, wie weit die Leute wohnen. Es sind auch welche da, die im zehnten Bezirke, in Hcrnals, Währing, Ottakring wohnen; diese holen sich das Essen in die Fabrik.

Dr. Schiff: Hängt die Fabriksordnung so, daß man sie lesen kann? Exp. Nr. 108: Die Anderen können sie lesen, ich aber nicht, weil ich schlecht sehe.

Dr. Schiff: Sind Sie im Betriebe sehr angestrengt? Expertin Nr. 108: Man ist gezwungen, den ganzen Tag zu arbeiten. Ich stehe als Erste bei der Maschine und muß arbeiten, damit die Anderen Be­schäftigung haben.

Dr? Schiff: Arbeiten sich die Sieben an einer Maschine in die Hand? Exp. Nr. 108: Ich arbeite nur für Vier. Wenn viel Leute da sind, wird zu mir Eine hingestellt, die muß die Andere vis-ä-vis von mir ablösen. Wir haben es auch schon so weit gebracht, daß die Meisterinnen selbst abgelöst werden. Die Arbeiterinnen müssen nämlich abwechseln, weil sie durch Hitze und Dunst aufgeregt werden. (Ueber Befragen.) Wir müssen die Stumpen in kochendes Wasser eintauchen und dann wieder herausziehen. Das Gefäß, in welches eingetaucht wird, ist ein hölzerner Bottich. Wir kommen mit den Fingern nicht in's Wasser. Wenn etwas geschieht, so ist es nur der Unvorsichtigkeit der Leute zuzuschreiben. So lange ich beim Geschäfte bin, ist mir noch gar nichts passirt.

Vorsitzender: Wenn man den Stumpen herauszieht und die heißen Stellen aufaßt, brennt es wohl in den Fingern? Exp. Nr. 108 : Die Hand gewöhnt sich mit der Zeit an die Hitze.

Vorsitzender: Wie nehmen Sie die Stumpen heraus ? Expertin Nr. 108: Sie werden in Fetzen eingerollt.

Vorsitzender: Läuft Ihnen da nicht doch Wasser zwischen die Finger? Exp. Nr. 108: Stein, weil ich nicht so dumm bin, es so lange in her Hand zu halten, bis das Wasser herunterläuft. Auch hat es nicht mehr eine so große Hitze, wenn es herunterläuft.

Dr. S chiff: Warum braucht man dazu besonders starke Mädchen? Exp. Nr. 108: Weil die Stumpen schwer sind.

Dr. Schiff: Aber bei der Maschine braucht man nicht so starke Mädchen? Das läuft doch einfach durch? Exp. Nr. 108: Ja.

Dr. Schiff: Kann man mit den Fingern in die Maschine hinein­kommen? Exp. Nr. 108: Wenn man unvorsichtig ist, schon. (Ueber Be­fragen.) Geschenke machen wir nicht; früher war das der Fall, aber jetzt nicht. In der Fabrik wohnt außer dem Portier Niemand.

Vorsitzender: Wie ernähren Sie sich? Exp. Nr. 108: In der Früh esse ich Kaffee und Brot, eine Semmel ist zu theuer ; Mittags esse ich Suppe und Zuspeise, und wenn ich mehr Geld habe, kaufe ich mir vom Gasthause Fleisch; das kommt zwei-, dreimal in der Woche vor. Das Fleisch kostet 20 kr., die Suppe 5 kr., Zuspeise auch 5 kr., und weil die Kinder mit- essen, muß ich mehr nehmen. Das Essen kommt uns also aus 40 bis 50 kr. Abends esse ich ein Stückel Wurst oder Alle miteinander ein Gollasch.

Vorsitzender: Verdienen die Kinder schon? Exp. Nr. 108: Ja, aber jetzt haben sie schon mehrere Monate keine Arbeit. Mein Sohn ist 27 Jahre alt und Hilfsarbeiter, meine Tochter 21 Jahre und Posamentirerin, die muß oft aussetzen.

Vorsitzender: Wie leben Ihre Colleginnen? Exp. Nr. 108: Das weiß ich nicht, denn ich gehe Mittags immer nach Hause. (Ueber Be­fragen.) Das Arbeitslocal ist ebenerdig, es hat eine Glaswand mit Ober­licht. Es ist ziemlich groß und enthält ziemlich viele Maschinen. Die Maschinerie ist getheilt. Wir haben die 14 Maschinen beisammen, dann sind auch im Aeußeren und rückwärts Maschinen vorhanden. Wir haben znm Bewegen Raum genug; in dieser Richtung kann nichts geschehen. Das Vocal