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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Vorsitzender: Kommen Sie nie zu spät? Exp. Nr. 108 : Wir trachten schon, daß wir zurecht kommen.

Vorsitzender: Aber Strafen bestehen dafür? Exp. Nr. 108: Ja. Sonst würde ja Jedes zu spät kommen. Es wird zweimal geläutet; fünf Minuten vor und zum Beginn der Arbeit. Wenn Eine drei, vier Minuten später kommt, sagt der Werkführer noch nichts. Kommt sie aber fünf oder zehn Minuten später, so schreibt er sie auf. Manchmal brummt er blos mit ihr.

Vorsitzender: Wie groß sind die Strafen? Exp/Nr. 108: 10 kr., mehr nie. Sonst gibt es keine Strafen.

Vorsitzender: Was geschieht mit den Strafgeldern? Expertin Nr. 108: Früher sind sie vertheilt worden. Zu Neujahr haben die Fleißigen Prämien bekommen. Einmal habe ich auch etwas bekommen. Die Erste hat fl. 4, 5, und die Anderen haben fl. 2, 3, meist fl. 3 bekommen. Jetzt werden sie zu Krankenunterstützungen verwendet, weil die Krankencasse zu klein ist.

Vorsitzender: Können sie viel ausbessern? Exp. Nr. 108: Sie bessern zu, wenn sie's haben.

Vorsitzender: Wie ist die Arbeitszeit? Exp. Nr. 100: Elf Stunden. Im Sommer von «1 bis 0 Uhr, im Winter von 7 bis 7 Uhr.

Vorsitzender: Wie ernähren Sie sich ? Exp. Nr. 109: In der Früh Kaffee und ein Stück Brot; das esse ich im Geschäft, weil ich zu Hanse nicht so viel Zeit übrig habe. Zu Mittag gehe ich nach Hause. Da esse ich ein Gollasch oder Suppe, Fleisch und Zuspeise und ein Krügel Bier. Mein Mann ist Schuhmacher und ist zu Hause.

Vorsitzender: Können Sie uns nicht sagen, wie Ihre Colleginnen leben, die in der Fabrik bleiben? Exp. Nr. 109: Ich verkehre mit Niemandem. Man darf nicht verkehren. Wenn man nur ein Wort spricht, geht es wie ein Lauffeuer.

Vorsitzender: Sie kochen nicht selbst? Exp. Nr. 109: Nein, das kommt zu theuer, und man hat auch keine Zeit dazu.

Vorsitzender: Kinder haben Sie nicht? Exp. Nr. 109 : Nein. Ich habe auch sonst für Niemanden zu sorgen.

Vorsitzender: Wollen Sie, Herr Hunnisch, uns über die Kategorien von Arbeiterinnen, die noch nicht vernommen sind, das Wissenswerthe sagen. Exp. Humitsch: Die Theilung der Arbeit ist in dem Betriebe sehr weit vorgeschritten. Es gibt etwa 20 verschiedene Arten von Arbeiten. Die Arbeiter sind theils im Taglohn, theils im Stücklohn. Früher betrug der Taglohn 75 kr.; heute bekommt eine Arbeiterin, wenn sie auch schon eine alte Arbeiterin ist, beim Eintritt 05 kr., nach etwa drei Monaten 70 kr., und wenn sie brav ist, nach weiteren drei Monaten 75 kr. Dabei bleibt sie dann jahrelang stehen. Es findet ein ziemlich großer Wechsel statt. Die meisten Arbeiterinnen sind aus Schlesien, Croatien, Mähren u. s. w. Es sind meist solche Personen, die den Sommer über beim Baugewerbe beschäftigt sind. Im Winter ist der Andrang der Arbeiterinnen sehr groß, und da werden dann die stärksten ausgesucht und im Taglohn beschäftigt. Die jüngeren Arbeiterinnen, die eine Zeit lang im Taglohn beschäftigt sind, avanciren, wenn sie besondere Vorzüge haben oder wenn sie sauber und dem Vor­gesetzten gefällig sind. Das erlebt man in allen Fabriken; ich habe es auch selbst erlebt. Dann kommen sie zur Stückarbeit und können bei einzelnen Arbeiten mehr verdienen. Bei den Maschinen sind vornehmlich Arbeiterinnen im Taglohn. Sie haben 05 bis 80 kr., selten 90 bis 95 kr. Ich habe seit 15 Jahren statistisches Material gesammelt und habe an die Arbeiterinnen Fragebogen ausgesendet. Aus diesen ist z. B. zu sehen, daß der Wochcn- verdienst einer Filzerin im Stücklohn mit fl. 3'50 angegeben ist.

Vorsitzender: Wann ist das erhoben worden? Experte Humitsch: Im Jahre 1893. Seitdem sind aber die Verhältnisse nicht

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Fraueii-Enquüte.