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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Lehrmädchen, die zum Aussuchen des Abfalles, für Gänge zur Post u. s. w. verwendet werden. Die Lehrmädchen werden nicht aufgedungen, sie sind nur Hilfsarbeiterinnen und sind schon nach einigen Wochen abgerichtet. Ich selbst habe 14 Tage gebraucht, bis ich die Arbeit erlernt habe. Wir haben keine Arbeitsvermittlung. Was mich betrifft, so habe ich, als ich noch in die Schule gegangen bin, davon gehört und'habe mich gemeldet. Jetzt kommen die Mädchen einfach in die Fabrik, und wenn Jemand gebraucht wird, werden sie aufgenommen. Der Wechsel in der Fabrik ist sehr stark. Erst heute sind drei Mädchen davongelaufen, die eine wegen schlechter Arbeit, mit der zweiten war der Werkführer etwas brutal, die dritte ist vom Herrn ausgezankt worden. Ich bin die einzige, die so lange dort im Geschäft ist. Wir haben keine K ü n d i g u n g sf r i st. Unsere Arbeits­zeit ist von 7 bis 12 und von 1 bis 6 Uhr. Frühstück und Jause müssen wir während der Arbeit nehmen. Es wird das ganze Jahr gleichmäßig zehn Stunden gearbeitet. Ueberstunden kommen nicht vor. Früher ist auch an einigen Sonntagen gearbeitet worden; in letzter Zeit ist es nicht vor­gekommen. Feiertagsarbeit haben wir nicht. Sowohl beim Sortiren, als veim Stutzen sind Arbeiterinnen zum Theil im Taglohn, zum Theil im Accord. Ich arbeite im Taglohn und bekomme st. 4'29 wöchentlich. Für die Krankencasse werden mir nämlich 17 kr. und für die Reinigung 4 kr., oder vielleicht 2 kr. für Reinigung und 2 kr. für Unfallversicherung ab­gezogen; das weiß ich nicht genau. Im Accord verdienen sich die Arbeite­rinnen etwas mehr. Beim Sortiren kommen sie auf st. 5. Beim Stutzen be­kommt sie 20 Kilogramm, die muß sie fertig stellen. Dafür erhält sie 3 kr. für's Kilogramm, sie verdient also täglich 60 kr., wenn sie aber bessere Arbeit haben, können sie es auf st. 6 wöchentlich bringen. Es gibt in der Fabrik Mädchen, die beinahe ein halbes Jahr da sind und erst 45 Kreuzer haben. Männer sind nur beim Hobeln und Pressen beschäftigt. Sie nehmen keine Arbeit nach Hause und verdienen im Anfang fl. 5'50 bis 7. Der älteste Arbeiter beim Pressen hat fl. 12. Es kommen bei uns Strafen vor, welche der Herr oder der Werkführer bestimmt. Wenn z. B. eine oft in's Magazin hinauslauft, wird sie mit 10 bis 15 kr. bestraft. Auch die Accordarbeiter unterliegen dieser Strafe. Wenn der Herr selbst in der Fabrik ist, wird auch für's Zuspätkommen gestraft. Der Werkführer aber sagt nichts. Wir haben eine Fabriksordnung, in welcher die Strafen be­stimmt sind.

Dr. Schwiedland: Wer besorgt das Durchlöchern der Horn­streifen? Exp. Nr. 110: Vier Mädchen. Von diesen hat eine fl. 6, die anderen haben fl. 2'50 bis 3'60. Diese Arbeit wird nicht per Stück gezahlt und besteht darin, daß die Mädchen die Plättchen unter die Maschine legen und mit dem Fuß auftreten.

Dr. Schwiedland: Wird kein gesundheitsschädliches Material verwendet, durch welches die Fingerschwürig" werden? Exp. Nr. 110: Das kommt beim Poliren vor, aber woher das rührt, weiß ich nicht.

Dr. Osner: Was bekommen die Heimarbeiterinnen gezahlt? Exp. Nr. 110: Das weiß ich nicht genau, ich glaube, 4 kr. für's Groß.

Dr. Osner: Wie viel können Sie selbst von Ihrer Arbeit in einer Stunde machen? Exp. Nr. 110: Das ist verschieden, das weiß ich nicht. (Ueber Befragen.) Das Arbeitslocal besteht aus drei Werkstätten. Ich selbst bin in jener Werkstätte, wo packetirt, vorgerichtet, gestutzt, geschabt und sortirt wird. Dieselbe hat sechs bis sieben Fenster, und es sind 70 bis 80 Personen beschäftigt. Es ist so ziemlich Platz darin, es steht halt ein Tisch neben dem anderen. In dem Local wird sehr viel Lärm durch sechs Maschinen verursacht. Auch ist sehr viel Staub drin, aber nicht so viel wie im zweiten Saal, wo polirt, gebimst und geschnitten wird. Es sind Ventilationen vorhanden und werden auch die Thüren und Fenster geöffnet.