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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Vorsitzender: Gehört Ihr Vater der Organisation an? Exp. Nr. 113: Ja.

Dr. Ofner: Sie arbeiten jetzt im Accord? Exp. Nr. 113: Seit zwei Wochen.

Dr. Ofner: Wie viel haben Sie letzte Woche verdient? Expertin Nr. 113: fl. 4'50, weil ich nnr vier Tage gearbeitet habe.

Dr. Schwiedland: Wie kommt es, daß Ihr Vater, der Weber- ist, für ein Wirkereigeschäst liefert? Exp. Nr. 113: Der Fabrikant hat ein Web- und Wirkwaarengeschäst.

Dr. Schwiedland: Was webt Ihr Vater? Exp. Nr. 113: Der Vater und der eine der Gesellen machen Shawls, der andere Tücher; mein Vater kann auch Tücher machen, aber er thut es nicht.

Dr. Schwiedland: Wer bestimmt den Lohn der Nebengesellen?

. Exp. Nr. 113: Der Fabrikant.

Dr. Schwiedland: Wohnen und essen diese Beiden bei Ihnen zu Hause? Exp. Nr. 113: Nein.

Dr. Schwiedland: Sie sagten, daß Ihr Taglohn in der schlechten Zeit geringer sei, wird er in der guten Zeit vom Herrn aus eigenem Antrieb wieder ausgebessert? Exp. Nr. 113: Nein; wenn man mehr haben will, muß man handeln; aber das Abzwacken thut er schon von selbst.

Dr. Frey: Arbeitet Ihr Vater nur für diesen Fabrikanten? Exp. Nr. 113: Ja.

Dr. Rauchberg: Er hat wohl früher selbst einen Gewerbsschein gehabt und das Gewerbe zurückgelegt? Exp. Nr. 113: Ja. «Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Daß Arbeiterinnen beim Unternehmer Kost oder Wohnung haben, kommt nicht vor. Wir haben jetzt als Vorgesetzten einen Werkführer; ob diesem Geschenke gegeben werden, kann ich nicht sagen, weil ich erst zu kurze Zeit dort bin. Aber im besagten Betriebe war ein Werk­führer, der von den Mädchen zwar auch keine Geschenke, aber etwas Anderes bekommen hat; er hat ihnen sehr unanständige Anträge gemacht, was über­haupt in unserer Branche in den Fabriken häufig vorkommt. Ich weiß das nicht blos vom Hörensagen, sondern aus eigener Wahrnehmung. Es sind mir selbst solche Sachen vorgekommen. Wenn'Eine das nicht will, so wird sie schlecht behandelt, es kommt auch vor, daß sie entlassen wird ; man sagt einfach : die kann nichts leisten. Das kommt bei uns sehr häufig vor, überall, wo ich noch war.

Vorsitzender: Drückt sich das auch in der Weise aus, daß hübsche Mädchen leichter aufgenommen werden? Exp. Nr. 113: Ja. «Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Unsere Familie besteht außer mir aus Vater, Mutter und zwei Brüdern, von denen der eine 30, der andere 24 Jahre alt ist. Beide sind Arbeiter, der eine Weber, der andere Werkführer in einer Weberei. In der Früh trinke ich Kaffee früher, wie wir noch klein waren, haben wir Knoblanchsuppe gehabt und dazu eine Semmel oder ein Brot. Zum Gabelfrühstück esse ich ein Stück Brot. Zu Mittag gehe ich nach Hause, da kocht die Mutter Suppe, Zuspeise und für alle fünf Personen 50 Deka Fleisch. Zur Jause esse ich auch wieder Brot, und Abends haben wir Zuspeise, Wurst, Quargeln oder dergl., manchmal auch ein Krügel Bier Alle miteinander.

Dr. Frey: Ist es Ihnen persönlich passirt, daß Sie wegen der Unsittlichkeit des Werkführers entlasten worden sind? Exp. Nr. 113: Ja wohl ; in dem einen Betriebe hat der Werkführer znm Herrn gesagt, ich bin die Hetzerin, ich habe Alle aufgewiegelt. Dann war noch eine andere Arbeiterin dort, die hat 50 kr. weniger gehabt wie ich, und da wollte sie, ich soll 50 kr. weniger haben und sie 50 kr. mehr. Da hat sich wieder der Werkführer dahinter gesteckt, und so bin ich fort, 14 Tage, bevor die