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die Atmosphäre durchaus nicht wohl gethan. Wenn ich aber etwas gesagt habe, waren die Leute gleich grob. Damals haben sie auch zwei Kinder gehabt, und Alle haben in dem Local geschlafen. Es war dort fürchterlich schmutzig; wenn man ein Stück Brot niedergelegt hat, so sind gleich die Wanzen darübergegangen. Es ist die ganze Woche nicht ausgekehrt worden, und wenn man etwas gesagt hat, so hat die Frau geschrieen: „Kehrt's Euch selbst zusammen!" Auch in meinem jetzigen Arbeitslocal schläft die Frau; es ist aber dort sehr rein. Es kommt in unserer Branche überhaupt nicht vor, daß eine Subunternehmerin ein eigenes Arbeitslocal hat. Bei uns hat die Saison einen sehr großen Einfluß. Es gibt eine Zeit, wo wir über Hals und Kopf zu thun haben, da kann ich meine vollen fl. 6 verdienen; aber in der stillen Zeit bin ich oft schon mit fl. 2 nach Hause gegangen.
Vorsitzender: Was machen da die Mädchen, die weniger verdienen wie Sie? — Exp. Nr. l21 : Wir haben eine Arbeiterin, die sagt immer: „Wenn ich nicht meinen Verehrer hätte, so wäre ich schon längst verhungert."
Dr. Schwiedland: Ist das immer derselbe, oder variirt das? — Exp. Nr. 121: Derselbe. «Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ich habe während der acht Wochen von Weihnachten bis Februar nur eine Woche ganz ausbezahlt bekommen. Da arbeiten wir manchmal einen ganzen, manchmal einen halben Tag, manchmal bis 4 Uhr; das ist verschieden. In der guten Zeit haben wir volle Beschäftigung, ja man muß sogar Nachtarbeit mitnehmen. Ich habe schon oft bis 12, 1 Uhr Nachts gearbeitet. Wenn viel zu thun ist, so müssen sich alle Arbeiterinnen Arbeit mitnehmen. Die Entlohnung hiefür wird nach Stunden berechnet; man muß selbst die Baumwolle, den Zwirn und das Licht beistellen, und überdies arbeitet rnan doch in der Nacht immer langsamer; kurz, wir zahlen bei der Nachtarbeit immer darauf. Ich habe manchmal durch die Nachtarbeit meinen Wochenlohn auf fl. 8bis 8'50 erhöht; aber jetzt kann ich das nicht mehr leisten, ich kaun mir nur für zwei Stunden Arbeit mitnehmen, denn meine Augen sind schon zu schwach, und ich halte es überhaupt nicht mehr aus. In dem früheren Betriebe war auch ein Mann im Hause; er war Briefträger. Es gibt vielleicht 600 Zwischenmeisterinnen und selbstständige Arbeiterinnen; von diesen zahlen nur bei 100 Steuer. Mit Denen, welche keine Steuer zahlen, kann der Fabrikant machen, was er will, weil sie sich nicht rühren dürfen; oft ist die Arbeit ganz gut, aber er stellt etwas aus und zieht ihnen ab. Sie müssen das einstecken, weil sie nicht aus die Polizei gehen können. Aber auch die Besteuerten können sich nicht rühren, denn wenn sie etwas sagen, werden sie hinausgeschmissen. Im Anfang werden Diejenigen, die keine Steuer zahlen, bevorzugt, und wenn sie dann einmal eine große Partie liefern, werden ihnen Ausstellungen und Abzüge gemacht. Ich weiß einen Fall, wo für unsere Firma ganz ordentliche Cravatten geliefert worden sind; er hat aber zu der Frau gesagt, wenn sie sich abziehen lassen will, so nimmt er es, wenn nicht, so kann sie es sich zurücknehmen.
Dr. Schwiedland: Es ist offenbar im Interesse des Unternehmers, daß die Zahl der Subunternehmer möglichst groß ist; deshalb unterstützt er sie im Anfang, dadurch werden sie immer mehr und drücken einander durch die Concurrenz herunter. Außerdem siud die, welche keine Steuer zahlen, eingeschüchtert. — Exp. Nr. 121: Ja, die können nicht zur Polizei gehen.
Dr. Schwiedland: Die Polizei könnte ihnen ohnedies nicht helfen; höchstens die Genossenschaft. — Exp. Nr. 121: Die hilft auch nicht; damit ist es bei uns sehr schlecht bestellt. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) In den Betrieben arbeiten meistentheils junge Mädchen; wenn eine älter wird, so arbeitet sie zu Hause.