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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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die Arbeiterinnen entweder nur dieKnöpfe" der Cravatten oder nur die Halstheile machen, oder sie können nur zusammenstellen. Dieser Letzteren sind aber nur Wenige; wenn Eine zusammenstellen, kann, so macht sie sich meist schon selbständig. Von meinen Mitarbeiterinnen hat eine fl. 3, die anderen zwei fl. 4'50, und ich habe fl. 6. In dem Betrieb, wo ich früher war, hatte ich fl. 4 50, und weil ich der Frau beim Faltenlegen geholfen habe, fl. 5. Die Anderen hatten dort fl. 3'50 bis 4 20; es gab aber auch Solche, die nur fl. 2 hatten. Wir vier Mädchen machen jetzt zehn Dutzend Cravatten pro Tag. Aber ich muß hervorheben, daß ich in einem Geschäft bin, wo die Frau human ist. Ich weiß jedoch, daß dort, wo ordinäre Shirting- arbeit gemacht wird, sechs Mädchen täglich 30 Dutzend fertigstellen müssen. Dort müssen die Arbeiterinnen in der Stunde ein gewisses Quantum Arbeit liefern; wenn sie es nicht fertigbringen, müssen sie das nach Feierabend nachholen. Bei uns ist dies nicht der Fall, das führen wir uns nicht ein. Auch zahlen die Unternehmer für Shirtingarbeit sehr schlecht, 35 kr. per Dutzend; eine größere Firma zahlt auch für Mittelarbeit nur 40 kr. per Dutzend, und da muß die Frau die Watte, die Nadeln, das Blech und die Muscheln selbst beistellen. Wir arbeiten für eine andere Firma. Da muß das Materielle von der Firma selbst bezogen werden. Die Frau zahlt dafür nicht mehr als wenn sie es anderswo kaufen würde, aber die Firma selbst hat Percente vom Engrossisten. Unsere Frau bekommt für Mittelarbeit 50 kr., für feinere Arbeit 55 bis 00 kr. per Dutzend; davon muß sie aber die Nadeln, die Muscheln, das Blech, die Watte und die Bandeln, auf welchen die Firma gedruckt ist, selbst zahlen. Sie braucht für zwölf Dutzend Cravatten um 8 kr. Nadeln, um 8 kr. Blech, um 14 kr. Muscheln, um 25 kr. Watte und vier Meter Bandeln; das Meter kostet, wenn es Seide ist, 5 kr., wenn es Baum­wolle ist, 1> 2 kr. Außerdem muß sie für die Beleuchtung und für Holz und Kohle zum Bügeln Sorge tragen.

Dr. Schwiedland: Es bleiben ihr also von 60 kr. circa 50 kr.

Exp. Nr. 121: Wenn es eine schwere Fa?on ist, so bekommt die Frau nicht mehr gezahlt, und es ist das ihr Schaden.

Dr. Schüller: Zum Beispiel bei den großen englischen Plastrons?

Exp. Nr. 121: Bei diesen ist es noch besser. Aber wir haben auch breite Cravatten, wo sechs bis sieben Falten in einem Theile gemacht werden müssen; dafür wurde nur anfangs mehr gezahlt, und dann ist gleich abge­zogen worden. Ueberhaupt müssen sich die Frauen viel gefallen lassen, und wenn Eine sich erlaubt, etwas zu sagen, so bekommt sie Grobheiten.

Dr. Schwiedland: Ich habe mir ausgerechnet, daß Ihre Frau blos fl. 5 bis 6 wöchentlich verdient. Stimmt das? Exp. Nr. 121: Ja, aber es gibt auch Frauen, die fl. 30 bis 35 in der Woche verdienen. Bei diesen wird nach der Stunde gearbeitet. Die Frau schaut, was man in der ersten Stunde arbeitet, und darnach bemißt sie den Lohn. Man muß z. B. 72 Stück Obertheile in der Stunde verfertigen, und dabei muß man hohl nähen; rückwärts darf kein Stich heraussehen. Dort wird von 7 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends gearbeitet, und wenn Eine weniger arbeitet, weil sie z.B. unwohl ist, so muß sie es in der Nacht einbringen. Nach Feierabend wird der Barchent eingestickt, ohne daß man dafür ein Entgelt bekommt.

Vorsitzender: Halten das die Mädchen auf die Dauer aus? Exp. Nr. 121 : Es gibt wenig Cravattennäh erinnen, die ganz gesund wären.

Dr. Schwiedland: Was ist denn der Lohn bei dieser elsstündigen fürchterlichen Arbeit? Exp. Nr. 121: 70 kr., manche 50 kr. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Die Subunternehmer arbeiten in der Regel in ihrer Wohnung. Ich war selbst früher bei einer Unternehmerin, da ist nicht einmal znsammengeränmt und gelüftet worden. Dort war auch ein Mann; wenn man in der Früh hingekommen ist, hat man die Leute erst aufwecken müssen. Ich war damals in anderen Umständen, und da hat mir