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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Aufsichlsvrgane manchmal zu weit gehen und dadurch auch nicht im Interesse des Aerars handeln. Exp. Nr. 125: Die Uebernehmerinnen thun es oft absichtlich.

Exp. Nr. 126: Ich muß bemerken, daß ich vor Kurzem aus der Roßauer Fabrik ausgetreten bin, und zwar wegen des einen Beamten. Ich sitze schon vier Jahre lang auf dem Platz bei den Sumatras, und weil er für eine Andere, die ihm besser zu Gesicht gestanden ist, einen Platz gebraucht hat, so hat er angeordnet, daß ich am. nächsten Tag aus einen anderen Platz kommen soll. Ich habe gefragt:Warum ? Ich bin doch schon seit vier Jahren dort?" Da sagte er, ich solle nicht widersprechen und den Platz nehmen, den er mir anweist. Als ich am nächsten Tag zu wissen verlangte, warum ich eigentlich meinen Platz verlassen solle, sagte er: Warten Sie aus den Jnspector," und wollte mich auf den Gang Hinaus­stellen. Ich sagte:Ich gehe nicht in die Kälte hinaus auf den steinernen Gang." Als der Jnspector kam, ging ich vor dem Beamten zu ihm; denn wenn der Beamte früher mit dem Jnspector hätte sprechen können, so hätte er mich bei ihm so schwarz gemacht, daß mich der Jnspector gar nicht angeschaut hätte. Der Jnspector sagte:Gehen Sie zur Arbeit, arbeiten Sie weiter." Ich sagte:Ja, aber ich arbeite nur aus meinem alten Platz; wenn nicht, so trete ich lieber aus." Und als ich gesehen hatte, daß ich nichts durchsetzen könne, bin ich wirklich ausgetreten, denn setiren lasse ich mich nicht.

Dr. Ofner: Hätten Sie denn bei der anderen Arbeit weniger verdient? Exp. Nr. 126: Nein; aber ich war schon seit vier Jahren die Arbeit bei den Sumatras beim Vorrichten gewohnt, und dann güt die Abtheilung, wo ich hätte hinkommen sollen, als Strafabtheilnng; es war auch gar kein Grund vorhanden, mich von meinem Platze zu versetzen.

Vorsitzender: Können Sie uns vielleicht sagen, ob nach Ihrer Schätzung die Zahl der verheirateten oder die der ledigen Frauen größer ist? Exp. Nr. 126: Die der verheirateten; denn wenn eine Arbeiterin eine Zeit lang in der Fabrik ist, so heiratet sie gewöhnlich, weil man daranf rechnet, daß pe eine sichere Arbeit hat.

Vorsitzender: Sind die Arbeiterinnen, die neu ausgenommen werden, in der Regel junge Mädchen, oder werden auch ältere aufgenommen ?

Exp. Nr. 126: Es werden jetzt Anfängerinnen auch mit 20 bis 2.'! Jahren ausgenommen; sie haben sechs Wochen lang 46 kr. täglich, und wenn sie ausgelernt sind, so verdienen sie oft nicht einmal fl. 4 wöchentlich. Diese älteren Mädchen können die Arbeit nicht mehr recht erlernen, weil sie schon eine zu schwere Hand haben: die Mehrzahl der Anfängerinnen steht auch deshalb im Alter von weniger als I<2 bis 20 Jahren. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.» Die Arbeiterinnen recrutiren sich meist aus Arbeiterkreisen. Es sind meist zuständige Wienerinnen.

Exp. U: Es wird darauf gesehen, daß es Wienerinnen sind. Bei der Aufnahme muß man den Taufschein und ein Sittenzeugniß haben. Früher mußte man den 50 kr.-StemPel für das Sittenzeugniß auf alle Fälle riskiren, und wenn man nicht aufgenommen wurde, war das Geld verloren. Jetzt muß man das Sittenzeugniß erst nach der Aufnahme beibringen.

Dr. Verkauf: Wer unterrichtet die Lehrmädchen? Exp. Nr. 126 : Die Uebernehmerin ; sie unterrichtet immer fünf bis sieben Mädchen zugleich.

Dr. Verkauf: Wird sie dadurch nicht bei ihrer Arbeit geschädigt?

Exv. Nr. 126: Nein, denn sie steht im Wochenlohn.

Vorsitzender: Bei der Aufnahme findet, wie ich erfahren habe, eine Art Assentirnng statt? - Exp. Nr. 126 : Ja, man wird vollständig untersucht, besonders ob man nicht lungenkrank ist. Das hat aber eigentlich keinen Sinn, denn gewöhnlich wird man erst krank, wenn man einige Zeit in der Fabrik war.