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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Verkauf: Sind bei der Ordination viele Arbeiterinnen? Exp. Nr. l29: Es gehen viele hinunter, beinahe alle Tage sieben bis acht.

Dr. Verkauf: Was für Krankheiten kommen bei Ihnen am häufigsten vor? Wissen Sie etwas von Zahnschmerzen? Exp. 129: Zahnschmerzen, Bauch- und Lungenkrankheiten.

Dr. Verkauf: Zahnschmerzen? Das Finanzministerium behauptet, daß man bei Ihnen so gerne nascht. Exp. Nr. 129: Das ist nicht wahr.

Dr. Verkauf: Die Herren, die das schreiben^ müssen es doch besser wissen. Ist Ihnen nicht doch etwas bekannt? Exp. Nr. 129: Vom Naschen habe ich nichts gesehen.

Dr. Verkauf: Sind Kopfschmerzen häufig? Exp. Nr. 129: Kopsmigräne haben die Meisten. Da gehen die Meisten für einen Tag nach Hause.

Dr. Verkauf: Bekommen Sie da das Krankengeld? Expertin Nr. 129: Nein, weil man vier Tage krank sein muß, und so lange dauert das Kopfweh nicht.

Dr. Verkauf: Kommen Hautkrankheiten vor? Exp. Nr. 129: Nein.

Dr. Verkauf: Der Arzt behauptet, daß sie häufig sind, und zwar deshalb, um das wörtlich zu citiren:fast ausnahmslos als Folge einer vernachlässigten Hautpflege". Nun haben wir allerdings über die Handtücher Eigenthümliches erfahren, so daß man sich das erklären könnte. Expertin Nr. 129: Bei uns am Rennweg werden die Handtücher sehr oft gewechselt. Wir haben auch Seife zum Waschen.

Wittelshöfer: Wie steht es denn mit den Wascheinrichtungen in Ihrem Saale? Exp. Nr. 129: Es sind zwei. Es ist ein großes Bassin mit vier Pipen zum Ausdrehen. Im ganzen Saale sind acht Handtücher für 320 Personen, die werden jeden zweiten Tag gewechselt. Im kleineren Saale sind vier.

Vorsitzender: Wählen Sie auch einen Ausschuß? Expertin Nr. 129: Ja es sind zwölf. Sechs wählen wir, sechs werden ernannt. Vor zwei Jahren haben wir neu gewählt, seither nicht. Nach zwei Jahren soll der Ausschuß neugewählt werden. Wenn die Leute einverstanden sind, kann der Ausschuß bleiben, sonst wird er gestürzt. Das ist aber recht schwer, da müßte man sich beschweren.

Wittelsh öser: Wird Ihnen für denUnterstützungsfonds abgezogen?

Exp. Nr. 129: Wir zahlen 12 kr. Krankengeld und 4 kr. Unterstützungs­geld. 0 kr. zahlt die Direction darauf.

Wittelshöfer: Sind am Rennweg so viel Arbeiterinnen wie in der Roßau?

Vorsitzender: Nahezu dieselbe Zahl.

Wittelshöfer: Dann ist es eigenthümlich, daß die Einnahmen des Unterstützungssonds am Rennweg nur die Hälfte von dem ausmachen wie in der Roßau. Muß Jede dabei sein? Exp. Nr. 129: Jede. Wenn Eine hineinkommt und sechs Wochen gelernt hat, so werden ihr schon 12 kr. abgezogen, nach einem Jahre 16 kr.

Wittelshöfer: Wie ist das in der Roßau? Exp. Nr. 122 und Nr. 123: 16 kr. vom Anfang an.

Dr. Schüller: Ist das auch bei Ihnen so, daß Eine, wenn sie krank ist und nicht arbeitet, kein Krankengeld bekommt und beurlaubt wird?

Exp. Nr. 129: Wenn sie der Doctor gesund befindet und sie ist nicht gesund, so nimmt sie sich einen Urlaub. Das kommt oft vor.

Dr. Schüller: Kommt es vor, daß der Doctor sagt:Sie sind krank, aber ein Krankengeld können Sie nicht bekommen" ? Exp. Nr. 129 : Sagen thut er das nicht. Er sagt:Sie könnten schon arbeiten"; aber sie fühlt, daß es nicht geht. Er findet eben, daß es ihr besser geht, wenn sie nicht im Bette liegt.

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