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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Front. Mit dem Aufmachen der Fenster ist es sehr schwer. Wenn ausgemacht wird, lamentiren die, welche beim Fenster sitzen, daß der Tabak austrocknet und daß es zieht. Es sind dort meist die Aelteren. Da muß man wieder zu­machen. Es ist eine große Hitze, und da muß man im Sommer früh nach Hause gehen. Zur Ventilation sind nur Schuber bei den Fenstern, und die sind zu wenig. Im Hofe ist ein eigenes Haus mit 22 Aborten, 12 für die Arbeitsleute und die anderen für die Vorrichter. Mittag geht ein Theil nach Hause, für die Anderen ist ein Speisesaal da. Gekocht wird dort nicht, aber Jede kann sich ihr Essen wärmen. Wenn sie kommt, stellt sie sich ihr Essen hin. Es ist eine Wärmeküche außer dem Speisesaale da. Viel Platz ist für das Essen nicht vorhanden. Viele Verheiratete gegen nach Hause, viele bleiben aus der Stiege sitzen.

Vorsitzender: Wie ist es in den Krankheitsfällen? Expertin Nr. 129: Wenn Eine krank ist, so bekommt sie das Krankengeld durch 20 Wochen. Tann geht der Ausschuß hinunter und bittet noch um sechs Wochen, und da bekommt sie eine Verlängerung von sechs Wochen. Wenn sie arbeitsunfähig ist, so daß sie nicht gesund ist, so bekommt sie für ein Jahr Pension. Wird sie nach einem Jahre gesund, so kann sie wieder kommen. Wenn nicht, so bleibt sie in der Pension.

Vorsitzender: Es scheint also nur in der Roßau damit so eigen­thümlich bestellt zu sein.

Exp. R: Das ist erst seit drei Jahren so eingeführt. Wenn eine Frau krank wird und in der Zeit nicht gesund wird, so wird sie auf ein Jahr beurlaubt. Die Arbeit bleibt ihr gesichert. Nach einem Jahre muß sie sich aber wieder untersuchen lassen, ob sie arbeitsfähig ist. Ist sie nicht arbeits­fähig, so wird sie pensionirt.

Dr. Verkauf: Sieht man es gerne, wenn Eine in den Kranken­stand geht? Exp. Nr. 129: Das nicht. Man zieht es hinaus, so lange es geht.

Dr. Verkauf: Wer zieht es hinaus? Exp. Nr. 129: Der Toctor.

Dr. Verkauf: Der Arzt ist also gerade so bemüht, wie in der Roßau, im Interesse der Casse zu wirken; oder ist es besser? Expertin Nr. 129: Nein. Die vorige Woche ist auch so ein Fall vorgekommen. Eine ist schon 44 Jahre dort. Die ist acht Tage zu Hause und hat eine leichte Rippenfellentzündung gehabt. Der Doctor hat sie gesund befunden. Sie war aber nicht gesund. Sie ist in die Fabrik gegangen, hat zwei Tage gearbeitet, ist dann in's Rudolsspital gekommen, und da hat der Professor sie unter­sucht, und sie war sehr krank. In einer anderen Arbeit werden die Leute nach 40 Jahren pensionirt. Man hat aber gesagt, es ist kein Geld da zum Pensioniren.

Dr. Verkauf: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo schwer kranke Leute weiter arbeiten müssen? Exp. Nr. 129: Es sind sehr viele krank und arbeiten weiter.

Dr. Verkauf: Thun sie es selbst, weil das Krankengeld zu klein ist, oder müssen sie es? Exp. Nr. 129: Weil das Krankengeld zuwenig ist. Wir bekommen st. 3'58.

Dr. Verkauf: Kommt es nicht vor, daß Arbeiterinnen bei einer zweiten Casse versichert sind? Exp. Nr. 129: O ja!

Dr. Verkauf: Wie ist es mit der ärztlichen Hilfe bestellt? Exp. Nr. 129: Wir haben einen Arzt. Wenn man aber näher dem Roßauer Arzt wohnt, so kann man auch den benützen. Oft kommt der Arzt spät, oft zeitlich.

Dr. Verkauf: Haben Sie eine Ordinationsstunde? Expertin Nr. 129: Ja, am Vormittag. Er kommt aber ungleich.