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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Vorsitzender: Lesen Sie Zeitungen? Exp. Nr. 129: Ja, die Arbeiter-Zeitung".

Dr. Adler: Wer hat gedroht? Ist das Ihnen persönlich geschehen?

Exp. Nr. 129: Im Allgemeinen hat der Herr Jnspector das gesagt: Wenn man in Versammlungen geht oder Vereinen angehört, das sind agitatorische Aufhetzungen. Vor zwei Jahren haben wir den Krankenvater weg haben wollen, und es hat sich Alles dafür eingesetzt. Der Krankenvater war im engeren Ausschuß. Der Ober-Finanzrath H. war damals dort und hat gesagt:Die Arbeiterinnen haben nichts zu sagen, nur was der Ausschuß sagt, gilt." So ist er geblieben. Wie aber Mehrere deswegen zum Herrn Jnspector gegangen sind, hat er gesagt:Ja, weil die Leute zu den Ver­sammlungen gehen, ist ihnen nachher nichts mehr recht."

Dr. Adler: Warum haben Sie den Krankenvater weg haben wollen?

Exp. Nr. 129: Weil er nicht gerecht ist. Wenn er zu einer Kranken geht, und er sieht sie nicht im Bette, so verklagt er sie gleich. Wenn sie ein schönes Bett hat, so erzählt er gleich, die liegt in lauter weißen Betten, und die Anderen richtet er wieder aus, daß sie schlechte Betten haben.

Pernerstorfer: Sie haben von Drohungen gesprochen. Hat man da die Leute zusammenbernfen? Exp. Nr. 129: Es war in den Arbeits­sälen. Wie die Leute gesagt haben, daß sie den Krankenvater nicht haben wollen, hat er das beigefügt.

Pernerstorfer: Da hat er von agitatorischen Versammlungen und Vereinen gesprochen? Exp. Nr. 129: Daß sie die Leute aufhetzen.

Pernerstorfer: Und daß man, wenn das bekannt wird, entlassen wird? Exp. Nr. 129: Ja.

Pernerstorfer: Ist da Niemandem eingefallen, den Herrn zu fragen, ob er als österreichischer Beamter die österreichischen Gesetze nicht kennt?

Dr. Adler: Sie haben dort einen Fortbildungsverein. Ist Niemand von Ihnen in diesem Vereine? Exp. Nr. 129: Früher waren Mehrere darin, aber es sind Alle ausgetreten, um nicht entlassen zu werden.

Pernerstorfer: Sind Sie noch nicht auf den Gedanken gekommen, daß, wenn alle 600 hingehen, selbst das Finanzministerium ihnen nichts machen kann? Exp. Nr. 129: Das ist nicht leicht. Zehn oder Zwanzig sind vielleicht dafür, und die Anderen gehen nicht.

Pernerstorfer: Sie find noch zu wenig organifirt. Expertin Nr. 126: Ja, wenn dann etwas herauskommt, so sagen die Anderen gleich: Wenn's still gewesen wär't's." Exp. Nr. 129: Es sind so viele Leute, und Jeder hat eine andere Gesinnung.

Dr. Adler: Nehmen Sie Zeitungen in die Arbeit mit? Expertin Nr. 129: Ein Arbeiter verkauft dieArbeiter-Zeitung" und dieArbeite- rinnen-Zeitung". Der Herr darf es aber nicht sehen, sonst kann dem Arbeiter passiren, daß er entlassen wird. Er thut es heimlich.

Dr. Adler: Aber es ist noch Niemand beanständet worden? Exp. Nr. 129 : Nein.

Dr. Schwiedland: Wenn Sie aber die Zeitung dort lesen? Exp. Nr. 129: Das dürfen wir nicht.

Dr. Schwiedland: Wie viel verdient Ihr Bräutigam? Exp. Nr. 129: sl. 9. Er ist Metallarbeiter.

Dr. Schwiedland: Wird aus dieser Almoscncasse eine Aushilfe gegeben? Exp. Nr. 129: Bei uns war das schon. Eine ist ausgeraubt worden und hat fl. 10 bekommen. Exp. Nr. 123: Es sind aber auch Ausnahmen. Wenn sie nichts geben wollen, so sagen sie, es ist nichts da.

Dr. Schwiedland: Sie meinen, es ist Protection. Aber es kommt vor. Die Cigarrenarbeiterinnen sollen ja untereinander verschuldet sein? Exp. Nr. 129: Ja, viele müssen abzahlen, und die Anderen stehen für sie gut.