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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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31. Sitzung, Freitag, 17. Npril 1896.

Vorsitzender: Pernersiorfer.

Beginn 7 Uhr 20 Minuten Abends.

Expertin Nr. 144: Ich bin im Arsenal beschäftigt und habe die Patronen zu sortiren, das heißt die guten Patronen und den Ausschuß zu sondern. Ich bin seit dem Jahre 1885 im Arsenal, früher war ich in einer Patronensabrik, dort habe ich ebenfalls dieselbe Arbeit gemacht.

Vorsitzender: In welchem Zustande kommen die Patronen zu Ihnen? Exp. dir. 144: Die Patronen werden zuerst bei der Kopfpresse gearbeitet, da werden sie gepreßt; das Blech wird nämlich in die Schienen gepreßt, und es bilden sich Schalen. Diese werden ausgeglüht und kommen zu einer Maschine, wo sie gezogen werden und so immer größer werden. Das ist der sogenannte Zweierzug. Dann werden sie wieder ausgeglüht und kommen zum Dreierzug und von hier zur Maschine, wo die Kapseln gemacht werden. Dann werden sie wieder geglüht und kommen zum Vierer­zug. Endlich kommen sie zur Kopfmaschine, da werden die Köpfe gemacht. Nachdem sie auch bei der Conusmaschine waren, wo die Kugel hinein­kommt, gelangen sie zu uns, um ausgesucht zu werden. Die guten kommen zur Preßmaschine, werden da gepreßt, kommen hinauf und werden nochmals untersucht und dann in Wr.-Neustadt gefüllt. Unsere Arbeit besteht nun darin, daß wir die Patronen anschauen und, wie gesagt, die guten von den schlechten sondern. Im ganzen Arsenal sind mit dieser Arbeit nur vier Frauen beschäftigt. Wir haben das ganze Jahr dieselbe Arbeit und müssen nur hie und da 14 Tage bis drei Wochen aussetzen. Aussetzzeiten von halben oder ganzen Tagen kommen nicht vor. Männer und Kinder sind da­bei nicht beschäftigt. Arbeit nehmen wir nicht nach Hause. Die Arbeiterinnen stammen aus Arbeiterkreisen. Von den vier bei uns Beschäftigten sind drei verheiratet, die eine Ledige ist 23 Jahre alt. Man lernt das Sortiren sehr leicht, nur muß man ein gutes Auge haben. Wenn eine neue Arbeiterin

kommt, so zeigt man ihr die Arbeit, aber Lehrmädchen haben wir nicht.

Ich bin durch Recommandation zu der Arbeit gekommen. Ich arbeite von 7 Uhr Früh bis V 46 Uhr Abends, mit je einer halbstündigen Frühstücks­und Jausenpause und einstündiger Mittagspause. Ueberstunden gibt es nur einmal im Jahre durch einige Wochen. Sonntag unv Feiertag wird nie gearbeitet. Wir haben 14tägige Kündigung. Das ist in der Fabriksordnung, die im Local angeschlagen ist, enthalten. Unser Lohn ist st. 5 63, dabei sind schon 15 kr. abgezogen, welche wir in die Krankenkasse zahlen. Die Unfall­versicherung zahlt die Anstalt. Dieser Lohn bleibt das ganze Jahr der gleiche. Für Ueberstunden bekommen wir 10 kr. pro Stunde. Strafen und

Abzüge kommen nicht vor und sind auch in der Fabriksordnung nicht vor­

gesehen. Im Arsenal schläft keine von den Arbeiterinnen. Zum Vorgesetzten haben wir einen Mann, einen Ofsicial, er ist Werksührer. Die Behandlung ist eine gute. Geschenke an denselben kommen nicht vor.

Vorsitzender: Wie leben Sie Tags über ? Exp. Nr. 144 : Wir essen in der Cantine, wo das Essen sehr schlecht ist. In der Früh nehme ich, wenn ich vom Hause weggehe, Kaffee mit, da ich so früh nichts essen kann, und trinke denselben erst um 8 Uhr, nachdem ich ihn gewärmt habe. Ein Gabelfrühstück nehme ich nicht, Mittags esse ich in der Cantine. Da kostet eine Mehlspeise 12 kr., Suppe 5 kr., Zuspeise 5 kr., Brot 2 kr. und ein Seidl Bier 4 kr. Wir müssen das gleich zahlen, Credit haben wir nicht.

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