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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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bin ich seit zwei Monaten allein nnd muß den Dienst der anderen Dame und noch den eines Herrn verrichten. Die Kanzleistunden sind von 9 bis 1 Uhr und von 3 bis 6 Uhr. Oft muß ich aber auch über Mittag arbeiten, wenn eine große Satzschrift fertiggestellt werden muß. Es sind außer mir in der Kanzlei noch fünf Herren angestellt. Ich bin durch Protection von der Schule aus, in welcher ich gelernt habe, in die Kanzlei gekommen, da ich beim Wettschreiben den ersten Preis erhielt. Es wurde mir von Seiten des Herrn, der mich in die Kanzlei gebracht hat, gesagt, daß ich st .40 bis 45 erhalten würde. In dieser Voraussetzung bin ich hingegangen, der Advocat hat mir aber erklärt:Sie wissen ja, Damen werden nicht hoch bezahlt; man kann sie billig haben, ich kann Ihnen nur st. 25 geben." Darauf habe ich gesagt: Das kann ich nicht thun," und so hat er mir dann st. 30 gegeben. Die andere Dame, welche dort arbeitete, bekam nur st. 25. Abschreibearbeiten werden meist an die Herren nach Hause gegeben; sie bekommen 30 kr. per Bogen. Wir Damen bekommen keine Schreibarbeit nach Hause, sondern der Chef sagt, wir sollen dieselbe lieber in der Kanzlei fertigmachen und zwar nach den Kanzleistunden ; das ist für ihn praktischer. Man braucht, um einen Bogen in Extenso zu schreiben, '/? bis Stunden. Abzüge und Strafen kommen nicht vor. Auch nicht für verdorbenes Schreibmaterial.

Dr. Ofner: Haben Sie, wenn Sie über Mittag schreiben, eine besondere Bezahlung? Exp. Nr. 149: Nein, der Chef Pflegt das so aufzufassen, als ob das eine Gefälligkeit unserseits wäre; er bedankt sich dafür sehr liebenswürdig, aber entlohnt wird man nicht.

Dr. Ofner: Wie viel Bogen müssen Sie ungefähr täglich schreiben?

Exp. Nr. 149: Es ist schon vorgekommen, daß ich täglich 16 bis 17 Bogen geschrieben habe. Da mußte ich zeitlicher in die Kanzlei kommen, über Mittag bleiben und Abends länger arbeiten, und ich habe dafür kein Extrahonorar bekommen. Gewöhnlich aber wird nur täglich das dictirt,. was ich in Currentschrift zu übertragen habe. Wenn es eine schwere Arbeit ist, muß ich erst ein Concept schreiben und es dann erst mundiren.

Dr. Lode: Wie groß ist Ihre Leistungsfähigkeit in der Stenographie?

Exp. Nr. 149: 120 Worte in der Minute.

Dr. Lode: Wird das auch gefordert? Exp. Nr. 149: Es wurde bei der Ausnahme eine Fertigkeit von 90 Worten verlangt.

Dr. L ode: Werden Ihnen auch nicht mehr dictirt? Exp. Nr. 149 : O nein, viel mehr.

Dr. Lode: Haben Sie nicht auch die Aufgabe, wie die Reichsraths­stenographen, freie Reden aufzunehmen? Exp. Nr. 149: Nein, höchstens eine Information eines Clienten; aber der Chef dictirt sehr rasch; besonders wenn er ein Citat aus einem Gesetzbuch oder dergleichen liest, geht es rasend schnell.

Dr. Biezina: Erfolgt da nicht, wie bei den Reichsraths­stenographen, von Zeit zu Zeit eine Ablösung? Exp. Nr. 149: Nein; es ist einmal vorgekommen, daß ich vier Tage hindurch täglich die ganzen sieben Stunden stenographirt habe. Wenn ich dann aufgestanden bin, war ich fast krumm vom Sitzen und habe nichts gesehen. Die Hände haben mich geschmerzt. Es war das eine Satzschrift von 200 Bogen, und es war nur dann eine Pause, wenn der Advocat in einem Buch etwas nachgeschlagen oder sich eine Cigarette angezündet hat.

Dr. Ofner: Es kommt wohl vor, daß Sie nichts zu stenographiren haben; müssen Sie dann abschreiben? Exp. Nr. 149: Es wird schon immer eine Arbeit für uns gesucht. Es ist sogar vorgekommen, daß ich expensariren mußte.

Dr. Schwiedland: Wann übertrugen Sie Ihre Stenogramme, als Sie sieben Stunden stenographirt hatten? Exp. Nr. 149: Theils