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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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nach den Kanzleistunden, theils dann, wenn der Chef mit dem Dictiren fertig war.

Dr. Schwiedland: Wie lange sind Sie schon in der Kanzlei? Exp. Nr. 149: Sechs Monate.

Dr. Schwiedland: Und wie alt sind Sie, Fräulein ? Expertin Nr. 149: 17 Jahre.

Vorsitzende: Welches sind Ihre Arbeitsstunden? Exp. Nr. 149: Es sind sieben regelmäßige Kanzleistunden, jedoch kommt es vor, daß ich neun Stunden und mehr arbeiten muß. An Sonn- und Feiertagen sind die Kanzleistunden von 10 bis 12 Uhr. Da ich die einzige Christin in der Kanzlei bin, wurde mir erlaubt, zu Weihnachten und Ostern auszubleiben. Es wurde keine Kündigungsfrist ausgemacht; sie soll, glaube ich, vierzehn- tägig sein.

Dr. Ofner: Sind während der Zeit, wo Sie in der Kanzlei sind, keine Entlassungen vorgekommen? Exp. Nr. 149: Ja, es wurde ein Mädchen entlassen, bei welchen der Chef Grund hatte, es momentan zu entlassen, und auch ein junger Mann, welchem aus l4 Tage gekündigt wurde.

Dr. Ofner: Ist in der Kanzlei auch ein Concipient? Expertin Nr. 149: Es war einer, jetzt ist er nicht mehr dort.

Dr. Ofner: Wie betragen sich der Chef und die Herren in der Kanzlei Ihnen gegenüber? Exp. Nr. 149: Der Chef ist äußerst höflich und hat auch dasselbe den jungen Leuten aufgetragen.

Vorsitzende: Wie ist Ihr Arbeitsraum? Exp. Nr. 149: Die Kanzlei ist sehr hübsch eingerichtet. Sie befindet sich im ersten Stock. Das Zimmer, in welchem ich arbeite, hat zwei Fenster und es sind zwei Per­sonen darin beschäftigt. Lüftung und Heizung sind genügend und auch der Abort ist in Ordnung.

Vorsitzende: Wie ist die Verköstigung? Exp. Nr. 149: Wenn ich Vor- oder Nachmittags etwas zu mir nehmen will, kann ich es mir holen lassen. Ich wohne bei meinen Eltern. Mein Vater ist Staatsbeamter. Wir sind nur zwei Geschwister. Ich bin nicht in der Krankencasse. Der Solltet- tator hat mich gefragt, ob ich nicht eintreten will, ich weiß aber nicht, ob er mich schon eingeschrieben hat.

Herrdegen: Haben Sie, bevor Sie in die Kanzlei eingetreten sind, auch schon einen Zwicker getragen? Exp. Nr. 149: Ja.

Herrdegen: Sind Ihre Augen seither schwächer geworden? Exp. Nr. 149: Gewiß; beim Stenographiren ist es immer so.

Herrdegen: Haben Sie genügende Beleuchtung, wenn Sie Abends arbeiten? Exp. Nr. 149: Die beiden Schreibtische, welche wir Mädchen haben, stehen einander gegenüber, und in der Btitte ist ein Arm mir einem Auer'scheu Brenner.

Bors itzender: Welche Beschäftigung hatten Sie früher? Expertin Nr. 149: Ich war früher kurze Zeit Comptoiristiu in einem Weißwaaren- Un gro 8-Geschäft. Der Chef hat mich aus 14 Tage Probezeit aufgenommen. Die Arbeitszeit war dort von 918 bis 911 Uhr und von 2 bis 7 Uhr. In Wirklichkeit aber bis 9,9 Uhr. Ich habe anfangs die Strazza geführt, als aber der Chef sah, daß ich verwendbar bin, hat er mich zu allen mög­lichen Arbeiten verwendet. Als er sah, daß ich französisch kann, hat er mich zur französischen Correspondenz genommen. Als er dann weiter sah, daß ich auch englisch und böhmisch kaun, war ihm das auch sehr angenehm und er hat mich auch darin ausgenützt. Ferner hat er mich eincassiren geschickt; ich mußte den ganzen Tag herumlaufen, und wenn dann meine Arbeit un­vollendet blieb, sagte er mir:Gehen Sie nur fort, meine Tochter wird es schon machen." Diese aber machte nichts und ich mußte diese Arbeit des Abends verrichten. Ich bin z. B. im Sommer immer bis 9 Uhr im Geschäft